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G E R D ' s

E L E V E N T Y

T I E F W E I S S . 2 0 0 9

Steht auch dem Islam eine Belanglosigkeit bevor ?

Der syrische Denker Sazik al-Azm beschreibt in einem Beitrag in der Quantara.de einen dritten Weg, einen „Weg der Mitte“, für unseren Glaubensnachbarn, welcher sich vom offiziellen Staats-Islam und von militanten radikalen Gruppierungen unterscheidet. Er geht von einer Glaubensart eines bürgerlichen Mittelstandes aus, welche er den „kommerziellen Islam“ nennt.

Dieser findet sich vor allem in den Bourgeoisien muslimischer Länder. Er ist durch eine ganze Anzahl von Institutionen vertreten, etwa Handels-, Industrie- und Gewerbekammern oder die Zweige des islamischen Bankgeschäfts. Da diese Mittelklasse in den betreffenden Ländern das Rückgrat der Zivilgesellschaft darstellt, dürfte dieser Islam generell zum Islam der muslimischen Zivilgesellschaft werden. Es ist ein moderates, konservatives Islamverständnis, das den Gang der Geschäfte nicht stört. Es schreckt vor linken Weltverbesserern ebenso zurück wie vor radikalislamischen Eiferern.

Wenn die gegenwärtig in Aufruhr befindlichen arabischen Staaten und Gesellschaften erst einmal zu einem Maß an Stabilität und Demokratie gefunden haben, meint Sazik al-Azm, dann dürfte ein solcher Mittelklasse-Islam die Oberhand gewinnen und für längere Zeit dominieren.

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Was mich etwas wundert ist die gelegentliche Phantasielosigkeit in der Wahl der Möglichkeiten wie sich Religionen seit dem Aufbrechen von traditionellen Autoritäten oder anderer Machtgebilde des „toten Buchstabens“ weiter entwickeln. Zwar setzt etwa der Dalai Lama im tibetanischen Buddhismus eher auf breite Bildung als auf die Fortführung einer Theokratie vor der chinesischen Annektierung seines Landes, aber mich wundert der Ansatz, warum das In Ruhe gelassen Werden der Menschen vor ihrer Religion als so erstrebenswert gilt.

Warum soll die Religion den Gang der Geschäfte nicht stören ? Warum wird da die Religion überhaupt als Störung empfunden ?
Wo liegt der Fortschritt in der Degenerierung der Religion in eine Freizeitbeschäftigung für offensichtlich Passive, während die Aktiven und Handelnden möglichst von ihr unbehelligt sein sollen ?

Da kann der syrische Denker Sazik al-Azm doch gleich offen aussprechen, dass er den Liberalismus anstelle des Islams bevorzugt !
Lasst doch die Geschäftsleute und Geschäftigen nur machen. Lei, lei, stört sie nicht in ihrem Treiben. Die Religion ist doch nur etwas für kopftuchtragende Hausfrauen und alte Menschen vom Lande, die sowieso kein Interesse an der Politik und an der Wirtschaft (zu haben) haben.

Mir kommt das bekannt vor ... Auch das ist Globalisierung.


So, so. Der „kommerzielle Islam“ schreckt vor Weltverbesserern zurück ? Und ausgerechnet vor ihrer linken Art ? Für naiv werden wir gehalten, zu glauben, dass es keine rechten Weltverbesserer gibt ? Der Liberalismus, der die Gottergebenheit bis zur Belanglosigkeit aushöhlen oder verdrängen will, ist doch auch ein Ideal und "weltverbesserischer" Ansatz - nur zum Vorteil der global agierenden Geschäftsleute eben.

Übrigens lebt der „kommerzielle Islam“ ohnedies schon in vielen Königshäusern der arabischen Welt. Hierzulande wird dies „Feudal-Kapitalismus“ genannt. Der König als Geschäftsmann sorgt schon dafür dass ihm der „Islam“ seines Landes in seinem Treiben nicht stört. Vielleicht geht es Herrn Sazik al-Azm nur darum, dass unsere Glaubensnachbarn WTO-verträglich werden, und dass das Großunternehmertum nicht bloß der Aristrokatie vorbehalten bleibt ? Dann ist er wirklich ein Vertreter eines (Neo-)Liberalismus, welcher den Bürgerlichen das geschäftige Treiben zugänglich machen will und dem Adel hier seine Exklusivität nimmt.

Und was hat das mit dem Islam zu tun ? Warum wird der Wunsch nach dem Liberalismus und dem Aufstieg der Bürgerlichen gegenüber dem arabischen Adel so umständlich formuliert ?

Wenn es wirklich um die Religion gehen soll, denn unsere Glaubensnachbarn brauchen tatsächlich eine Reform und einen dritten Weg abseits militanter Gruppen und Staats-Religionen, könnte ich mir eine andere Möglichkeit denken: Nämlich die des Interesses an der Entwicklung einer Ethik. Dazu existieren im Islam hervorragende Ansätze; sie müssen nur anders verstanden werden:

Einerseits die Scharia, das islamische Recht. Wenn hier der „Buchstabe des Gesetzes“ tötet, ist doch eine Alternative denkbar. Sie könnte doch auch aus dem Herzen gelebt werden. Komischerweise wurde diese Variante einst in der - ach so modernen und „europäischen“ - Türkei verboten.

Ich habe mich mit der Scharia beschäftigt, dank des umfassenden Werkes „Handbuch Islam“ vom Deutschen Ahmad A. Reidegeld und mancher Ausführungen von der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Ich denke, dass die Scharia als „religiöse Bewertung“ des eigenen Handelns gedacht ist. Einerseits kann sie zur Hinterfragung und Überprüfung der eigenen Motive und Handlungen dienen. Dieses Motiv existiert auch im Christentum, z.B. bei Exerzitien und geistliche Übungen nach Ignatius von Loyola (Geister-Unterscheidungen).


Hier gilt es, die Wahrnehmung der Folgen des eigenen Verhaltens zu schärfen. Daraus erwächst ein massives Bedürfnis nach Wissen und Sachverstand, um an Hand der erkennbaren Auswirkungen von Handlungen das eigene Verhalten überhaupt bewerten zu können.
Unser Verein hat dazu auch Beiträge in unserem Themenblog erstellt.

Daher ist andererseits die Gelehrsamkeit und die Pflicht jedes Muslims Wissen anzunehmen und dazuzulernen der zweite Ansatz für die Entwicklung einer Ethik. Der Grad, wie der Islam in der Welt gelebt werden kann, ist mit dem Grad an Wissen und Wachsamkeit verbunden. Ich frage mich, ob das nicht auch für die anderen zwei abrahamitischen Religionen gilt.

Die Erkenntnisse aus dem Wissen, bzw. der Erkenntnis-Prozess muss aber auch erlebt werden können, weil die Bewertung des Handelns im Seelischen erfolgt.
Im Wachsen seiner Erfahrung wächst dann auch die praktische Religion des Gottergebenen.

Anstelle einer belanglosen „kommerziellen Religion“ schlage ich eine Reformation vor. Hier ist man konservativ, weil man auf das Wesentliche zurückgeht, und zugleich fortschrittlich in der Umsetzung des Wesentlichen. Neue Formen wollen entwickelt werden, Formen jedoch, die am Wesentlichen nicht vorbeigehen und die Religion nicht verfälschen.

In der Reformation wird das Verständnis des Originalen und Unverfälschten eine große Rolle spielen. Hier müssen die äußeren Formen in das Wesentliche hinein aufgelöst werden, und dies wird sich wohl auch im Seelenleben des Menschen ereignen. Hier können auch Ansätze für neue und stimmige Ansätze von „Offenbarung“ entwickelt und vor allem erlebt werden. Hier stimmt das Gleichnis von der Perle im Ackerland, und wenn dieser Weg einmal beschritten wird, werden wir Dinge erleben, die viele von uns und unserer Glaubensnachbarn nicht einmal erträumt haben ...

(Genauer kann ich es nicht beschreiben, denn noch erahne ich das nur. Das wird revolutionär !)

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