Der
syrische Denker Sazik al-Azm beschreibt in
einem Beitrag in der Quantara.de
einen dritten Weg, einen Weg der Mitte,
für unseren Glaubensnachbarn, welcher sich vom
offiziellen Staats-Islam und von militanten
radikalen Gruppierungen unterscheidet. Er geht von
einer Glaubensart eines bürgerlichen
Mittelstandes aus, welche er den
kommerziellen Islam nennt.
Dieser
findet sich vor allem in den Bourgeoisien
muslimischer Länder. Er ist durch eine ganze
Anzahl von Institutionen vertreten, etwa Handels-,
Industrie- und Gewerbekammern oder die Zweige des
islamischen Bankgeschäfts. Da diese
Mittelklasse in den betreffenden Ländern das
Rückgrat der Zivilgesellschaft darstellt,
dürfte dieser Islam generell zum Islam der
muslimischen Zivilgesellschaft werden. Es ist ein
moderates, konservatives Islamverständnis, das
den Gang der Geschäfte nicht
stört. Es schreckt vor linken
Weltverbesserern ebenso zurück wie vor
radikalislamischen Eiferern.
Wenn
die gegenwärtig in Aufruhr befindlichen
arabischen Staaten und Gesellschaften erst einmal
zu einem Maß an Stabilität und
Demokratie gefunden haben, meint Sazik al-Azm, dann
dürfte ein solcher Mittelklasse-Islam die
Oberhand gewinnen und für längere Zeit
dominieren.
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Was
mich etwas wundert ist die gelegentliche
Phantasielosigkeit in der Wahl der
Möglichkeiten wie sich Religionen seit dem
Aufbrechen von traditionellen Autoritäten oder
anderer Machtgebilde des toten
Buchstabens weiter entwickeln. Zwar setzt
etwa der Dalai Lama im tibetanischen Buddhismus
eher auf breite Bildung als auf die
Fortführung einer Theokratie vor der
chinesischen Annektierung seines Landes, aber mich
wundert der Ansatz, warum das In Ruhe gelassen
Werden der Menschen vor ihrer Religion als so
erstrebenswert gilt.
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Warum
soll die Religion den Gang der
Geschäfte nicht stören ? Warum
wird da die Religion überhaupt als
Störung empfunden ?
Wo liegt der Fortschritt in der
Degenerierung der Religion in eine
Freizeitbeschäftigung für
offensichtlich Passive, während die
Aktiven und Handelnden möglichst von
ihr unbehelligt sein sollen ?
Da
kann der syrische Denker Sazik al-Azm doch
gleich offen aussprechen, dass er den
Liberalismus anstelle des Islams
bevorzugt !
Lasst doch die Geschäftsleute und
Geschäftigen nur machen. Lei, lei,
stört sie nicht in ihrem Treiben. Die
Religion ist doch nur etwas für
kopftuchtragende Hausfrauen und alte
Menschen vom Lande, die sowieso kein
Interesse an der Politik und an der
Wirtschaft (zu haben) haben.
Mir
kommt das bekannt vor ... Auch
das
ist Globalisierung.
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So, so. Der kommerzielle Islam schreckt
vor Weltverbesserern zurück ? Und ausgerechnet
vor ihrer linken Art ? Für naiv werden wir
gehalten, zu glauben, dass es keine rechten
Weltverbesserer gibt ? Der Liberalismus, der die
Gottergebenheit bis zur Belanglosigkeit
aushöhlen oder verdrängen will, ist doch
auch ein Ideal und "weltverbesserischer" Ansatz -
nur zum Vorteil der global agierenden
Geschäftsleute eben.
Übrigens
lebt der kommerzielle Islam ohnedies
schon in vielen Königshäusern der
arabischen Welt. Hierzulande wird dies
Feudal-Kapitalismus genannt. Der
König als Geschäftsmann sorgt schon
dafür dass ihm der Islam seines
Landes in seinem Treiben nicht stört.
Vielleicht geht es Herrn Sazik al-Azm nur darum,
dass unsere Glaubensnachbarn WTO-verträglich
werden, und dass das Großunternehmertum nicht
bloß der Aristrokatie vorbehalten bleibt ?
Dann ist er wirklich ein Vertreter eines
(Neo-)Liberalismus, welcher den Bürgerlichen
das geschäftige Treiben zugänglich machen
will und dem Adel hier seine Exklusivität
nimmt.
Und
was hat das mit dem Islam zu tun ? Warum wird der
Wunsch nach dem Liberalismus und dem Aufstieg der
Bürgerlichen gegenüber dem arabischen
Adel so umständlich formuliert ?
Wenn
es wirklich um die Religion gehen soll,
denn unsere Glaubensnachbarn brauchen
tatsächlich eine Reform und einen
dritten Weg abseits militanter Gruppen und
Staats-Religionen, könnte ich mir
eine andere Möglichkeit denken:
Nämlich die des Interesses an der
Entwicklung einer Ethik.
Dazu existieren im Islam hervorragende
Ansätze; sie müssen nur anders
verstanden werden:
Einerseits
die Scharia, das islamische Recht. Wenn
hier der Buchstabe des
Gesetzes tötet, ist doch eine
Alternative denkbar. Sie könnte doch
auch aus dem Herzen gelebt werden.
Komischerweise wurde diese Variante einst
in der - ach so modernen und
europäischen -
Türkei verboten.
Ich
habe mich mit der Scharia
beschäftigt, dank des umfassenden
Werkes Handbuch Islam vom
Deutschen Ahmad A. Reidegeld und mancher
Ausführungen von der islamischen
Glaubensgemeinschaft in Österreich.
Ich denke, dass die Scharia als
religiöse Bewertung des
eigenen Handelns gedacht ist. Einerseits
kann sie zur Hinterfragung und
Überprüfung der eigenen Motive
und Handlungen dienen. Dieses Motiv
existiert auch im Christentum, z.B. bei
Exerzitien und geistliche Übungen
nach Ignatius von Loyola
(Geister-Unterscheidungen).
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Hier gilt es, die Wahrnehmung der Folgen des
eigenen Verhaltens zu schärfen. Daraus
erwächst ein massives Bedürfnis nach
Wissen und Sachverstand, um an Hand der erkennbaren
Auswirkungen von Handlungen das eigene Verhalten
überhaupt bewerten zu können.
Unser
Verein
hat dazu auch Beiträge
in unserem Themenblog
erstellt.
Daher
ist andererseits die Gelehrsamkeit und die Pflicht
jedes Muslims Wissen anzunehmen und dazuzulernen
der zweite Ansatz für die Entwicklung einer
Ethik. Der Grad, wie der Islam in der Welt gelebt
werden kann, ist mit dem Grad an Wissen und
Wachsamkeit verbunden. Ich frage mich, ob das nicht
auch für die anderen zwei abrahamitischen
Religionen gilt.
Die
Erkenntnisse aus dem Wissen, bzw. der
Erkenntnis-Prozess muss aber auch erlebt werden
können, weil die Bewertung des Handelns im
Seelischen erfolgt.
Im Wachsen seiner Erfahrung wächst dann auch
die praktische Religion des
Gottergebenen.
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Anstelle
einer belanglosen kommerziellen
Religion schlage ich eine
Reformation
vor. Hier ist man konservativ, weil man
auf das Wesentliche zurückgeht, und
zugleich fortschrittlich in der Umsetzung
des Wesentlichen. Neue Formen wollen
entwickelt werden, Formen jedoch, die am
Wesentlichen nicht vorbeigehen und die
Religion nicht
verfälschen.
In
der Reformation wird das Verständnis
des Originalen und Unverfälschten
eine große Rolle spielen. Hier
müssen die äußeren Formen
in das Wesentliche hinein aufgelöst
werden, und dies wird sich wohl auch im
Seelenleben des Menschen ereignen. Hier
können auch Ansätze für
neue und stimmige Ansätze von
Offenbarung entwickelt und vor
allem erlebt werden. Hier stimmt das
Gleichnis von der Perle im Ackerland, und
wenn dieser Weg einmal beschritten wird,
werden wir Dinge erleben, die viele von
uns und unserer Glaubensnachbarn nicht
einmal erträumt haben ...
(Genauer
kann ich es nicht beschreiben, denn noch
erahne ich das nur. Das wird
revolutionär
!)
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