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G E R D ' s

E L E V E N T Y

D R I T T A U S R U N D

Zwischenzeilenanalphabet

von Johannes

 

Dieses Wort ist mir spontan eingefallen, während ich bei einer - sehr interessanten - Veranstaltung saß und zuhörte.
Tatsächlich wollte ich damit mich selbst beschreiben, aber bei näherer Betrachtung verdient es mehr Aufmerksamkeit.

Zunächst: Wer kann zwischen den Zeilen lesen?
Antwort: Niemand, denn zwischen den Zeilen befindet sich lediglich ein gewisser Abstand, damit wir die Zeilen besser unterscheiden können und somit eine optische Erleichterung bei unserer Lektüre genießen können. Wie üblich bei einer Metapher oder einer Redewendung, so ist auch hier nicht wörtlich gemeint, was gesagt wird - es ist ebenso wenig möglich, zwischen den Zeilen zu lesen, wie es in England Katzen und Hunde regnet oder Fuchs und Hase einander wirklich gute Nacht sagen. Derartige Umschreibungen bedeuten also etwas anderes, als sie besagen.
Der Trick dabei ist, dass beiden Seiten jeweils bekannt sein muss, was das Gesagte bedeuten soll; also muss die gemeinte Bedeutung ebenso bekannt sein wie die wörtliche Bedeutung.

Gerade in Österreich ist verklausulierte Sprache teilweise eine Art Nationalsport geworden - die Übersetzung von „Ja, gerne, selbstverständlich, unbedingt … Momentan geht's bei mir nicht, aber weißt du was? Ruf mich mal an; irgendwann klappt es bestimmt, schauen wir mal“ ins Deutsche lautet schlicht und ergreifend „Nein“.

 

Das geht gut, solange beide Seiten Bescheid wissen, was das Gesagte bedeutet.

Schwierig wird es jedoch, wenn eine Seite nicht ganz das versteht, was die andere Seite gemeint hat, weil sie entweder etwas hineininterpretiert, was überhaupt nicht gemeint war, oder etwas ein bisschen zu wörtlich versteht. Dann entstehen so genannte Missverständnisse. Und die haben es oft in sich: Eine Seite sagt etwas, was die andere Seite falsch interpretiert. Verletzt durch das, was fälschlicherweise hineininterpretiert wurde, schießt die erste Seite „zurück“ - und wird nun wieder von der zweiten Seite vollkommen missverstanden. Und so weiter und so fort.

Damit es noch schöner wird, bedenken wir jetzt mal unterschiedliche Weltanschauungen oder Denk-Hintergründe.

Beispielsweise bedeuten selbst eindeutig definierte Fachvokabeln nicht immer dasselbe - „Konvergenz“ beispielsweise bedeutet für Juristen etwas vollkommen Anderes als für Biologen. Gut, das sind verschiedene Wissenschaften; aber das Gleiche kann leicht passieren, wenn sich beispielsweise Leute mit unterschiedlichen Positionen in einem Unternehmen unterhalten. Wenn jemand da „Kapital“ sagt, versteht einer womöglich ein Buch von Karl Marx, jemand anders "Geld" und noch jemand anders „Möglichkeiten, Potenziale, Fähigkeiten“ darunter. Da ergibt das (meiner Meinung nach unfassbar unsensible) Wort „Humankapital“ gleich einen ganz anderen Sinn...

Dieser Effekt lässt sich sogar bösartig ausnutzen, indem Verbreiter geschlossener Denkkonstrukte (namentlich Sekten) Worten völlig neue, nicht dem üblichen Gebrauch entsprechende Bedeutungen verleihen, sodass Gespräche mit Außenstehenden durch Missverständnisse nahezu unmöglich werden.

So gesehen gleicht es fast einem Wunder, dass Kommunikation überhaupt funktioniert.
Vermutlich liegt es daran, dass wir zwischendurch doch mal sagen, was wir meinen. Oder nachfragen, was denn gemeint war. Oder einfach zufällig ausreichend richtig raten.

 

Wie sagte schon der Philosoph Georgias?

„Es ist nichts. Und wenn etwas wäre, dann wäre es nicht wahrnehmbar. Und wenn etwas wäre, und es wäre wahrnehmbar, dann wäre es nicht mitteilbar.“

Aber wofür hat der Mensch die Sprache erfunden: Wir können etwas nicht Mitteilbares in so unglaublich vielen schönen Worten nicht mitteilen, dass wir ob der semantischen Sturzflut den Eindruck erwecken, irgendwo dazwischen müsse sich doch etwas Wichtiges befinden.

Gespräche sind eben ein Geben und Nehmen: Man nimmt die Möglichkeit, selbst zu reden, und gibt im Gegenzug Aufmerksamkeit, während der/die Andere spricht.
Wenn beide Seiten Glück haben, nimmt die zuhörende Seite sogar etwas von dem Gesagten mit.

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