von
Johannes
Dieses
Wort ist mir spontan eingefallen, während ich
bei einer - sehr interessanten - Veranstaltung
saß und zuhörte.
Tatsächlich wollte ich damit mich selbst
beschreiben, aber bei näherer Betrachtung
verdient es mehr Aufmerksamkeit.
Zunächst:
Wer kann zwischen den Zeilen lesen?
Antwort: Niemand, denn zwischen den Zeilen befindet
sich lediglich ein gewisser Abstand, damit wir die
Zeilen besser unterscheiden können und somit
eine optische Erleichterung bei unserer
Lektüre genießen können. Wie
üblich bei einer Metapher oder einer
Redewendung, so ist auch hier nicht wörtlich
gemeint, was gesagt wird - es ist ebenso wenig
möglich, zwischen den Zeilen zu lesen, wie es
in England Katzen und Hunde regnet oder Fuchs und
Hase einander wirklich gute Nacht sagen. Derartige
Umschreibungen bedeuten also etwas anderes, als sie
besagen.
Der Trick dabei ist, dass beiden Seiten jeweils
bekannt sein muss, was das Gesagte bedeuten soll;
also muss die gemeinte Bedeutung ebenso bekannt
sein wie die wörtliche Bedeutung.
Gerade
in Österreich ist verklausulierte Sprache
teilweise eine Art Nationalsport geworden - die
Übersetzung von Ja, gerne,
selbstverständlich, unbedingt
Momentan
geht's bei mir nicht, aber weißt du was? Ruf
mich mal an; irgendwann klappt es bestimmt, schauen
wir mal ins Deutsche lautet schlicht und
ergreifend Nein.
Das
geht gut, solange beide Seiten Bescheid wissen, was
das Gesagte bedeutet.
Schwierig
wird es jedoch, wenn eine Seite nicht ganz das
versteht, was die andere Seite gemeint hat, weil
sie entweder etwas hineininterpretiert, was
überhaupt nicht gemeint war, oder etwas ein
bisschen zu wörtlich versteht. Dann entstehen
so genannte Missverständnisse. Und die haben
es oft in sich: Eine Seite sagt etwas, was die
andere Seite falsch interpretiert. Verletzt durch
das, was fälschlicherweise hineininterpretiert
wurde, schießt die erste Seite
zurück - und wird nun wieder von
der zweiten Seite vollkommen missverstanden. Und so
weiter und so fort.
Damit
es noch schöner wird, bedenken wir jetzt mal
unterschiedliche Weltanschauungen oder
Denk-Hintergründe.
Beispielsweise
bedeuten selbst eindeutig definierte Fachvokabeln
nicht immer dasselbe - Konvergenz
beispielsweise bedeutet für Juristen etwas
vollkommen Anderes als für Biologen. Gut, das
sind verschiedene Wissenschaften; aber das Gleiche
kann leicht passieren, wenn sich beispielsweise
Leute mit unterschiedlichen Positionen in einem
Unternehmen unterhalten. Wenn jemand da
Kapital sagt, versteht einer
womöglich ein Buch von Karl Marx, jemand
anders "Geld" und noch jemand anders
Möglichkeiten, Potenziale,
Fähigkeiten darunter. Da ergibt das
(meiner Meinung nach unfassbar unsensible) Wort
Humankapital gleich einen ganz anderen
Sinn...
Dieser
Effekt lässt sich sogar bösartig
ausnutzen, indem Verbreiter geschlossener
Denkkonstrukte (namentlich Sekten) Worten
völlig neue, nicht dem üblichen Gebrauch
entsprechende Bedeutungen verleihen, sodass
Gespräche mit Außenstehenden durch
Missverständnisse nahezu unmöglich
werden.
So
gesehen gleicht es fast einem Wunder, dass
Kommunikation überhaupt funktioniert.
Vermutlich liegt es daran, dass wir zwischendurch
doch mal sagen, was wir meinen. Oder nachfragen,
was denn gemeint war. Oder einfach zufällig
ausreichend richtig raten.
Wie
sagte schon der Philosoph Georgias?
Es
ist nichts. Und wenn etwas wäre, dann
wäre es nicht wahrnehmbar. Und wenn etwas
wäre, und es wäre wahrnehmbar, dann
wäre es nicht mitteilbar.
Aber
wofür hat der Mensch die Sprache erfunden: Wir
können etwas nicht Mitteilbares in so
unglaublich vielen schönen Worten nicht
mitteilen, dass wir ob der semantischen Sturzflut
den Eindruck erwecken, irgendwo dazwischen
müsse sich doch etwas Wichtiges befinden.
Gespräche
sind eben ein Geben und Nehmen: Man nimmt die
Möglichkeit, selbst zu reden, und gibt im
Gegenzug Aufmerksamkeit, während der/die
Andere spricht.
Wenn beide Seiten Glück haben, nimmt die
zuhörende Seite sogar etwas von dem Gesagten
mit.
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