von
Dr. Johannes Klietmann
Ausgangspunkt
unserer Überlegungen
(in
einem der Skype-Treffen unseres
Kreativkreises)
waren Artikel im Standard, in denen es um den
Wandel des üblichen Geschäftslebens geht,
demonstriert am exemplarischen
Kristallisationspunkt Mariahilfer Straße.
Einerseits wird dort ein verstärktes Zuwandern
von Ketten beobachtet, während die kleinen und
Traditionsbetriebe schließen oder in
Seitengassen abwandern müssen. Andererseits
bleiben zahlungskräftige Kunden immer mehr
aus.
Des
Weiteren berichtet ein Interview davon, dass
Internethandel notwendigerweise zu Oligopolbildung
führe, also dazu, dass einige wenige Konzerne
sich überdimensional aufblähen und alle
anderen an den Rand drängen, wo sie
dahinvegetieren oder komplett verschwinden. Dabei
helfen den Konzernen Ungerechtigkeiten in der
Steuerpolitik und andere, größenbasierte
Vorteile.
Da
sich selbjene Artikel "Das
Internet neigt
zur Oligopolbildung" oder "Die
Transformation
der Mariahilferstraße" (in Wien) nachlesen
lassen, werden sie hier nicht wiedergegeben.
Ich (Johannes) kann auch nicht garantieren, dass es
tatsächlich diese drei Artikel sind (beim
letzten bin ich mir nicht sicher), aber er hat
jedenfalls sinngemäß gleichen
Inhalt.
Machen
wir's kurz:
Das
Internet wird immer wichtiger, wenn wir etwas
kaufen wollen. Der Interviewte sagte so schön,
er selbst erledige 70 % seiner Käufe online,
seine Frau 30 %, sein Sohn 90 %. Lediglich die
Lebensmittelbranche sei im Internethandel noch
nicht stark vertreten, ansonsten gehe das
Geschäft langsam, aber mehr oder weniger
unaufhaltsam in Richtung Internethandel.
Hierzu
möchten wir anmerken, dass es Dinge gibt, die
im Internet eher nicht bestellt werden können
- wie alles, was maßgeschneidert sein sollte
oder, wie beispielsweise Schuhe, dann nicht passt.
Anprobieren geht ja nicht per Internet.
Andererseits gibt es den Vorteil, dass sich einige
Dinge per Internet problemlos beschaffen lassen,
für die man sonst lange durch verschiedene
Geschäfte laufen müsste - um sie
schließlich und endlich doch nicht zu finden.
Nach Möglichkeit kaufen wir aber entweder
nicht direkt im Internet, sondern, dem Aufruf des
Interviewten folgend, bei lokalen Händlern,
oder aber bei Internetportalen, die eben solche
kleinen Händler vernetzen. Als Beispiel sei
hier ABE Books genannt, eine Seite, auf der man
viele, auch antiquarische, Bücher kaufen kann,
und zwar direkt bei einem der vielen kleinen
Geschäfte, die hier vermittelt werden. So ist
es vermeidbar, beim Steuerflüchtling und
Angestelltenausbeuter A. (keine Erwähnung ist
die beste Nicht-Werbung) einkaufen zu
müssen.
Ein
angesprochenes Problem im Internet - aber auch bei
den Artikeln über die Ausbreitung der Konzerne
- ist, dass Größere Konkurrenzvorteile
haben. Nun gilt zwar Wettbewerb als die
alleinseligmachende Lösung aller Probleme -
aber beispielsweise die wunderbare Vielfalt der
Natur verdankt ihre Existenz wohl vor allem dem
Versuch, Konkurrenz zu vermeiden. Auch Menschen
suchen sich ihre eigene Nische, sofern sich die
Möglichkeit bietet. Bis zu einem gewissen Grad
muss Wirtschaftsgeschehen "darwinistisch"
betrachtet werden - Überleben der Fittesten,
Aussterben aller anderen. Dieser Gedanke jedoch ist
gar nicht "darwinistisch", da er nicht von Charles
Darwin stammt - obwohl dieser ihn übernommen
hat - , sondern von Thomas Malthus, einem
Wirtschafts(!)wissenschaftler der damaligen Zeit.
Das Internet ermöglicht nun freilich, dass
jeder mit jedem konkurriert, somit wird
notwendigerweise das Aussterben der
Schwächeren beschleunigt.
Aber
warum? Wir sind ja nicht wie Wasser, dass
naturgesetzmäßig immer in eine bestimmte
Richtung fließt, sondern wir sind, innerhalb
unserer Grenzen, vernunftbegabte Wesen mit freiem
Willen.
Wir
müssen ihn nur einsetzen; daran hapert es
leider oft.
Es
ist bequem, im Internet zu kaufen; es ist einfach,
Tante G. zu fragen und die erstbesten Ergebnisse zu
akzeptieren, obwohl diese bereits auf die von
Analysesoftware vermuteten Vorlieben bzw. auf die
Wünsche zahlender Kunden abgestimmte Resultate
liefert. Wenn ich Tante G. frage, bekomme ich
andere Antworten als ein anderer Mensch. Somit wird
mir - und dem anderen Menschen - viel
vorenthalten.
Man spricht von "Information Bubble": Ich lebe in
meiner Informationsblase und komme an
unähnliche Information gar nicht mehr heran.
Daher ist es notwendig, sich die Mühe zu
machen, Vernunft und freien Willen auch
tatsächlich aktiv zu benutzen.
Als
Beispiel lässt sich gut bringen, dass A.
niedrigere Gehälter für die gleichen
Leistungen zahlen kann und Steuern und Abgaben dort
zahlt, wo diese möglichst gering sind; somit
entsteht ein furchtbarer wettbewerbsverzerrender
Nachteil für heimische Betriebe. Aber weder
das noch die wiederholt angeprangerte
menschenverachtende Ausbeutung der
Arbeitskräfte spielen für das
tatsächliche Geschäftsergebnis eine
Rolle. A. hat in der Wahrnehmung Schaden genommen,
nicht im Wachstum; denn wir kaufen trotz allem
dort. (Also - "wir" im weiteren Sinne; im engeren
Sinne "wir" vermeiden es, so gut es irgend
geht.)
Auch
hier fehlt also die Aufklärung - selbst
informieren, selbst denken und die Vernunft
benutzen, darum ging es dieser heute weitgehend
ausgestorbenen philosophischen Strömung. Die
Frage, woher ich etwas weiß und ob es auch
anders sein könnte, stellte schon Sokrates,
der damit nicht weniger als die westliche
Philosophie begründete. Durchgesetzt hat sich
sein Denken bis heute nicht.
Der
dritte Artikel befasste sich vor allem damit, dass
es schwieriger wird, Geschäfte zu halten. Der
Mietzins hat sich innerhalb von zehn Jahren beinahe
verdreifacht oder sogar noch weiter erhöht -
von 120 € auf 350 bis 600 € pro Quadratmeter.
Immobilieninvestoren sind hier fleißig am
Werk und sorgen dafür, dass Traditionsmarken
von allgemeinem Ramsch ersetzt wird. Die speziellen
Geschäfte hingegen, die für die Vielfalt
und Qualität notwendig sind, verschwinden
zuerst in Nebenstraßen und oftmals
ganz.
Das
Besondere und Hochwertige findet sich oft nur noch
in kleinen Nebengässchen und Nischen, aber
noch haben wir das Glück, dass es sich
überhaupt finden lässt.
Leider wird die Ausschließlichkeit der
großen Ketten immer stärker. Begonnen
hat es freilich schon vor längerer Zeit.
Kleinere haben einfach Konkurrenznachteile, weil
sie weniger operatives Geld zur Verfügung
haben. Andererseits könnten sie problemlos
überleben, wenn wir es bloß wollen
würden - und auch dieses allgemeine Wollen
tatsächlich umsetzen würden. Kunden sind
nicht wie Wasser gravitationsgesteuert. Sie
könnten, wenn sie wollten, auch
selbstgesteuert sein.
Außerdem
wäre es gut, Dinge, die wir im realen Leben
bleiben lassen würden, auch im Internet zu
unterlassen.
Kurz
gesagt: Man stelle sich vor, jemand kauft einen
Anzug, weist sich dabei mit einem
selbstgeschriebenen Zettel mit einem wirklich
existierenden Namen aus, zahlt nicht und geht.
Darauf würde sich niemand einlassen,
außer im Internet. Hier kann man sich mit
einer Internetadresse ausweisen und der
Eigentümer dieser Daten wird dann den
Ärger bekommen. Es darf ja wohl nicht jemand,
dessen Daten zufällig verwendet wurden, dann
entweder zahlen müssen oder zumindest sich zur
Wehr setzen müssen. Nicht nur deshalb ist im
Internet oft das Prinzip "Erst Geld, dann Ware"
anzutreffen. Auch hier ist jedoch Vorsicht angesagt
- oft zahlt man und bekommt dann ein großes,
rundes Nichts. Tja, hierzu müssten wir eben
dazulernen.
Wie
aber kann man Menschen dazu bringen? Wie
verändert sich die Gesellschaft
überhaupt?
Machen
wir einen kleinen Ausritt in allgemeinere
gesellschaftliche Überlegungen.
Die
klassischen Autoritäten sind Vergangenheit,
sie funktionieren nicht mehr. Es entstehen zwar
allüberall Mini-Autoritäten, aber
gemeinsame, anerkannte Autoritäten gibt es
nicht mehr.
Das ist nicht per se schlecht, im Gegenteil, aber
da sie nicht ersetzt wurden, fehlt oft die
Orientierung. Das führt zu Unsicherheiten und
zur Zersplitterung und Abschottung einzelner
Gruppen, die einander auch immer mehr
bekämpfen.
Dabei muss aber festgehalten werden, dass sie
deshalb nicht weniger autoritätshörig
sind als früher, verblüffenderweise
scheint teilweise das genaue Gegenteil der Fall zu
sein. Die Stromlinienförmigkeit kehrt wieder,
sich selbst zu optimieren (= besser ausbeutbar und
weniger individuell zu machen) ist ein ganz
großer Trend. Diese Unsicherheit führt
derzeit dazu, dass sich Leute erst recht wieder
gleich machen, zumindest innerhalb ihrer Gruppe,
und nicht offensichtlichen Autoritäten
gegenüber weit gehorsamer werden, als sie es
den sichtbaren gegenüber jemals waren.
Allerdings nicht, weil sie sich so entschieden
haben, sondern weil ihnen gesagt wurde, dass es
eben so sei. Sie wissen gar nicht, dass sie
gehorchen, sie glauben nur, dass sie eben so
handeln müssen, weil es unvermeidbar oder
sogar richtig sei.
Zurück
zur ursprünglichen Frage: Wie verändert
sich eine Gesellschaft?
Zumeist erscheinen neue Gedanken in einer Gruppe,
die dann irgendwie die maßgeblichen Gruppen
überzeugt, und die Mehrheit gewöhnt sich
dann daran, bis sie irgendwann selbst auch davon
überzeugt ist. Ein Beispiel ist eben jene
Überzeugung, dass Autoritäten nicht
absolut sind und dass machtvolle Autorität an
sich nicht etwas Gutes sein muss.
An
dieser Stelle schließt sich der Kreis. Wir
können uns fragen, warum es gut ist, wenn es
Traditionsbetriebe gibt. Ich könnte die
Antwort geben, weil sie relativ zum Umsatz mehr
Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen als
Großkonzerne, weil sie bessere Qualität
und tatsächliche Auswahl bieten. Große
Geschäfte bieten oft Scheinauswahl - statt
dreißig Pfeffersorten etwa eine Pfeffersorte
von dreißig Anbietern. Ein kleines
Geschäft mit fünf Pfeffersorten von zwei
Anbietern hat da die fünffache Vielfalt. Sie
bieten Spezielles, also Nicht-Allerwelts-Sachen,
auf die wir ohne sie vollkommen verzichten
müssten.
Und
zu guter Letzt sind sie hier, direkt lokal vor Ort
und vermeiden jenen Transport, der für einen
erheblichen Anteil der Umweltverschmutzung
verantwortlich ist und bieten auch regional
Arbeitsplätze.
Wenn
wir also wollen, dass diese Betriebe
weiterexistieren, und sei es nur, weil sie letzte
Zeugen dafür sind, dass Wirtschaft menschlich
sein kann und (zumindest derzeit noch) auch
menschlich betrieben werden kann, dann stehen wir
in derselben Verantwortung, in der wir
überhaupt als Mensch stehen, auch wenn das die
Mehrheit nicht wissen will:
Wir
sind nach wie vor aufgerufen, uns selbst zu
informieren, vernünftig und selbstständig
nachzudenken und dann, wenn wir erkannt haben, was
richtig ist, das auch umzusetzen.
Denken ist schön und gut, handeln ist jedoch
das, was etwas verändern kann. Denn wir Kunden
und Kundinnen sind etwas nicht: Wasser, das
naturgesetzmäßig fließt.
Wir könnten auch anders, wenn wir uns die
Mühe machen würden, zu wollen.
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