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G E R D ' s

E L E V E N T Y

H A N D L U N G S R E I S E N . 2 0 0 8

Auf den richtigen Blick kommt es an

Schon vor zwei Jahren war ich von einem Wiener Umgebungsplan, welcher im Büro eines Nachbarreferates aufgehängt war, fasziniert. Es war eine für mich zunächst ungewohnte Sicht auf die Landschaft, und zwar weniger wegen der Darstellungart (weil seit meiner Hauptschulzeit beschäftige ich mich mit Landkarten) als vielmehr wegen dem Ausschnitt der Landschaft.

Diese Karte von bereits 2005 zeigt die „Twin City Region“ Wien-Bratislava, und auch das Marchfeld, sowie das Nordburgenland mit Eisenstadt und dem Neusiedler See. Leider sind am Cover (siehe Bild) noch die Landesgrenzen dargestellt, aber am Plan selbst sind sie zwar durch Strichlinien eingezeichnet, aber nicht mehr so hervorgehoben.

Dieser Plan stellt für mich genau den richtigen Blick dar, denn er zeigt etwas Ungewohntes, aber doch Vorhandenes, vor allem die Nähe einer Stadt, welche ich noch nie besucht habe. Mit der Twin City Line werden sie ab Frühjahr wieder mit einer Schifffahrtslinie verbunden sein.

Ich sehe darin, wie einfach es sein kann, den richtigen Blickwinkel darzustellen und vielleicht dann auch zu bekommen. Wir sehen zwei Nachbarsstädte wie eigentlich oft in Europa: z.B. Kopenhagen und Malmö, Helsinki und Tallin. Darin sehen wir ja ein Stück Europa, nämlich eine Nachbarschaft ohne Grenzen, und wenn es „natürliche“ Grenzen sind, können sie überbrückt werden. In unserem Fall verbindet sogar die Mutter Natur mit einem Strome die beiden Nachbarn. Dieser Strom, dem ein weltberühmter Walzer gewidmet ist, fließt nicht zum Atlantik, und das ist auch noch neu in Europa !

Hier sehen wir einen Beitrag Österreichs für Europa: Ein Blick, wie er eigentlich schon immer möglich war. Neu ist dabei, das mal ohne Grenzen zu empfinden. Ein mitteleuropäisches Gegenstück zur „Berliner Mauer“ ist gefallen. Noch nicht in unseren Herzen.

Nachbarschaften im Glauben

Als Villacher aus einem anderen Dreiländereck Mitteleuropas erlaube ich mir dieses Bild vom richtigen Blickwinkel auch für den interreligiösen Dialog heran zu ziehen.
Auch hier gibt es einen Beitrag Österreichs für Europa, nämlich in der Anerkennung der Muslime als gleichwertige
Glaubensgemeinschaft schon vor knapp hundert Jahren (1912).

Unser Wiener Hauskreis konnte dies mal in der evangelischen Hochschulgemeinde im neu renovierten Albert-Schweitzer Haus in Wien ausprobieren. Denn dort trafen sich, in Österreich, zwei etwa gleich große Minderheiten - nämlich Protestanten mit Muslimen.

Es handelte sich dabei um die MJÖ (muslimische Jugend Österreich) mit hier in Österreich Geborenen, die dritte Generation nach der Einwanderung. Bekannt ist die MJÖ z.B. durch ihre „Fatima“-Projekte als Qualitätsoffensive junger Musliminnen, welche u.a. von der Stadt Wien, dem BM für Gesundheit Familie und Jugend, sowie von der Fachhochschule des BFI Wien mitgetragen wurde.

Schon an Hand dieses Projektes sehen wir die Rolle der Frauen im Dialog, weil die wohl überkonfessionell sehr ähnliche Problem- und Fragestellungen haben. So waren alle Besucher der MJÖ in der EHG, bis auf einen, Frauen.

Eigentlich hatte ich schon aus diesem Grund einen etwas anderen „Abend der Begegnung“ vorgestellt. Denn die erste Hälfte bestand nur aus einer Präsentation von Gegenbeweisen zu Behauptungen, die niemand in der EHG formuliert hatte. Dass sich die MJÖ und die in Österreich geborenen Musliminnen über die Vorurteile von Populisten und Müll-Zeitung ärgern, ist zwar schon verständlich, aber sie gingen damit nicht auf ihrem Kontext im Hier und Jetzt ein.

Das „Wir sind nicht so ...“ braucht in der EHG nicht bewiesen zu werden, weil niemand hier diese Vorurteile hat. So wirkte die Präsentation des MJÖ und ihrer so großartigen Projekte und Reisen etwas abgespult, überhaupt nicht auf uns, sondern bestenfalls auf ein virtuelles Publikum der eigenen Bilder, eingehend.

Sie kritisieren Vorurteile und praktizieren doch das gleiche ! Und trotzdem ist das interessant, weil es eine andere Aussage bestätigt:

Der Gläubige ist der Spiegel des Gläubigen (von Muhammad, ).

Dies umsomehr, weil ich in diesem Zusammenhang auch gelesen habe, dass einem jenes am anderen Menschen stört, was man an sich selbst gerne ausblendet und verdrängt.

Nach den Selbstgesprächen blitzte in der zweiten Hälfte des Abends doch etwas von der Religion der MJÖ durch. Immerhin treten da gute Vorsätze zu Tage. So wird zwischen Religion und der Tradition unterschieden, und was das Kopftuch angeht - solche Debatten dürften in Europa momentan wohl unvermeidlich sein - haben die Frauen die Freiheit zu entscheiden, weil dies, wenn es nicht selbst gewollt wird, nicht vom Gott (dem Erhabenen) angenommen werden würde. Denn es gibt keinen Zwang im Glauben.

Ob die MJÖ ihre Ideale (welche sich interessanterweise mit meinen Reflexionen über den Islam decken) auch lebt, konnte auch in der zweiten Hälfte des Abends noch nicht nachempfunden werden.

 

Ausblenden der (Um-)Welt

Obwohl sich die MJÖ überhaupt nicht für uns (dem Gastgeber) oder für ihre Entsprechung bei uns Evangelischen interessiert, konnten wir immerhin ein paar Fragen stellen.
Die Antworten darauf waren einfach zu schön, um wahr zu sein:

Gelehrte, die Wissen verfälscht weitergeben - wie etwa in Kairo - gibt es nicht, denn die Anwesenden mit ägyptischen Wurzeln hier kennen keinen solchen.

Auch kennen sie niemanden, der vom Islam ausgetreten ist, also gibt es so etwas auch nicht !

Was soll ich dazu sagen ? Ich hatte bislang und auch heute noch keinen einzigen Muslim in meinem Bekannten- oder Freundeskreis.
Existieren die Muslime also gar nicht ? Der Islam - nur eine schöne Vorstellung ?!

Glücklicherweise hatten wir am nächsten Tag unser Hauskreistreffen, denn die Gottergebenheit ist (für mich) zu schön, um nur eine Vorstellung zu sein.

In unserem Kreis holten wir, zumindest mal für uns selber, nach, was uns im „Dialog“ eigentlich gefehlt hat, und auf was die MJÖ eigentlich selbst hätte kommen und erwähnen können.

Als erstes sind wir wieder auf den Blick zurück gekommen. Wenn ich meinen Blick von der gewohnten Mitte lasse und auf Reisen gehe, kommt etwas anderes in mein Blickfeld - wie etwa am Plan der TwinCity Region. Ich muss also von mir selber lassen können, um auf etwas anderes, eben auf meine Umgebung zu kommen. Im Plan ist keine Stadt im Mittelpunkt und doch nicht abgeschnitten.

Demnach hat uns gewundert, warum der offene Brief und Aufruf von religiösen Führer der Muslime an jene des Christentums (in PDF)

von Oktober 2007 - das ist also noch nicht lange her - nicht erwähnt wurde und es keine Gelegenheit gab darauf zu kommen.

In unserem Treffen, das auch im Themenrahmen „Dir geschehe wie Du glaubst“ stattfand, meinten wir, dass man nicht belehrend und missionarisch auftreten sollte. Ein Mensch im Glauben darf sich ja durch seinen Glauben im Gottvertrauen sicher fühlen, doch sind auch Richtigkeiten individuell. Das ist zum einen schön, weil das eine konkrete Liebe ausdrückt und zum anderen macht es einem auch seine Endlichkeit bewusst, denn alles Wissen ist Stückwerk.

Daher soll jeder die Erwählung der anderen in seiner Art anerkennen.

Neben dem Wissen über die eigene Religion erwähnen wir auch die Wichtigkeit Selbstverständlichkeiten zu reflektieren und zu erklären. Dabei wird die gegenseitige Klärung des Vokabulars und Begriffen der jeweiligen Religion notwendig sein. Definitionen des ein und desselben formalen Begriffes können unterschiedlich sein. Kulturell unterschiedliche Konzepte gilt es zu erforschen, und ein Dialog besteht nicht aus zwei Monologen.

Das Zuhören und Ausreden lassen, sollte der Standard in jedem Gespräch, und auch bei Besprechungen sein.
Das Geben bedeutet Zuhören im Geben der Aufmerksamkeit und das Nehmen ist das Sprechen und Vortragen im (in Anspruch) Nehmen von Achtung, Aufmerksamkeit und (temporärer) Bedeutung.

Letztlich stellt sich die Frage: Was will ich erreichen ?

Da ist uns die friedliche Koexistenz (anstelle der Uniformität) eingefallen.

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