Eleventy.at - Verein - Produkte - Völker - Zeitung: Ausgaben - Themen - Titel - zurückblättern - weiterblättern

G E R D ' s

E L E V E N T Y

H A N D L U N G S R E I S E N . 2 0 0 8

Religion, Zivilisation und Moral

Vom Schaden Gottes - „the best of both worlds“ als Leserbrief

Religiöse Wortführer sind davon überzeugt, dass eine Gesellschaft ohne religiöse Werte einem sittlichen Werteverfall ausgeliefert sei. Es gibt Leute mit anderer Meinung.

 

Weil ich im Umfeld außerhalb meiner Familie, der Vereines und meines Freundeskreis durchaus die Meinungen, dass die Welt eben nicht durch die Schönheit Gottes gerettet oder sogar zusammmen gehalten werde, erlebe, möchte ich mal „der Vollständigkeit halber“ gerne etwas wiedergeben, das so manche Menschen ebenso gerne lesen möchten. So mag der folgende Text ein bisschen die Zeitung für Leser sein.

Allerdings werde ich mir die Freiheit eines Kommentares nehmen. Ich werde mir die Freiheit, die ich mir auch unter beruflichen Kollegen gestatte, nehmen, um dies als längst fälligen Leserbrief auf mündliche Eingaben zur Religion und Ethik heran zu ziehen: In einer Hinsicht lebt wohl das klassische „StarTrek“ noch immer, im Glauben an den Fortschritt „Pantheismus - Polytheismus - Monotheismus - Atheismus“. Und dann vielleicht wieder zurück in ersteres ? Wir werden sehen.

Ethische Überzeugungen haben vielfältige Quellen. Ein gesundes Solidaritätsgefühl für unsere Mitmenschen braucht keine religiösen Wurzeln, meint beispielsweise Robert Misik, dessen Beitrag ich auf der Quantara.de gefunden habe und jetzt als Leserbrief heran ziehe:

*

Wenn also der Mensch Gott aus seiner Mitte verbannt, nehme die Kultur und damit die Zivilisation Schaden, erklärte der Kölner Katholenchef Joachim Meisner unlängst. Damit formuliert er freilich nur, was der gläubige Mainstream denkt: Wenn der Mensch keinen Gott über sich fühlt, macht er sich zum Maß aller Dinge. Dann „herrscht immer mehr die Willkür, verfällt der Mensch“, wie es bei Joseph Ratzinger heißt.

Es ist ein Gemeinplatz, dass dort, wo Gott nicht existiert, alles erlaubt sei, und gewiss gab es in der Geschichte Ungläubige, die sich in verrückter Egomanie als Herren über Leben und Tod fühlten und sich dazu berechtigt wähnten, Hunderttausende oder Millionen in den Tod zu schicken. Aber ebenso gab es etliche Gläubige, die derlei taten, weil sie glaubten, ihr Gott würde Mord und Totschlag von ihnen erwarten.

Man braucht keinen Gott, um Massenmord zu begehen. Aber wenn man sich einbildet, dass Gott dies von einem wünscht, fällt das Massakrieren leichter.

 

Vom Schöpfer konditioniert

Dennoch hält sich die fixe Idee, dass gläubige Leute eher ein moralisches Leben führen. „Viele religiöse Menschen finden es schwer vorstellbar, wie jemand ohne Religion gut sein kann; mehr noch, sie können nicht glauben, dass er überhaupt gut sein wollen könnte“, schreibt Richard Dawkins in seinem Buch „Der Gotteswahn“, um mit dem ihm eigenen Spott hinzuzufügen: „Davon ist es kurioserweise nicht weit zum Hass auf die, die ihren Glauben nicht teilen.“

Manche dieser Welt glauben, dass sich Menschen nur moralisch verhalten, weil sie auf Gottes Lohn hoffen oder seinen Zorn fürchten. Aber, fragt Dawkins hierzu, „heißt das, wenn es Gott nicht gäbe, würden sie rauben, vergewaltigen, morden? Wenn diese Leute das wirklich meinen, sollte man ihnen aus dem Weg gehen“.

Vielleicht sind sie auch der Ansicht, sie könnten eine moralische Person bleiben, ohne dass Gott sein Auge auf sie hat. Dann aber ahnen sie bereits, dass es keinen Zusammenhang zwischen Moral und Glaube gibt - oder allenfalls einen komplizierten und widersprüchlichen.

 

Erkenntnis als Antrieb für soziales Handeln

Der Altruismus ist eine gute Sache, aber moralisches Handeln erfordert ihn nicht zwingend. Für ein gerechtes Gemeinwesen ist es möglicherweise sogar ein stabileres Fundament, wenn die Moral keine Selbstlosigkeit nötig hat.

Wir Menschen sind soziale Wesen und wissen, dass wir in der Interaktion mit anderen unser Leben meistern müssen. Daraus allein folgt das Postulat: „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu!“ Eine sozial gerechte Gesellschaft ist für uns alle gut. Ich habe auch einen Nutzen davon, wenn nicht allzu viele meiner Mitmenschen im Elend leben.

In einer Gesellschaft, in der sich alle nur um sich, nicht aber um das Geschick ihrer Mitmenschen kümmern, wäre es schnell für alle ungemütlich, auch die „Glücklichsten“ müssten in den gated communities leben, in die sich in manchen Ländern bereits heute die Reichen zurückziehen müssen, um sicher zu sein.

Schon der „aufgeklärte Eigennutz“, schrieb der große Denker Bertrand Russell, müsse zur Abschaffung der Sklaverei führen. Denn „in einem Staat mit zahlreichen Sklaven“ seien „dauernd Sklavenaufstände zu befürchten“.

 

Religion und Aggression

All das schließt nicht aus, dass ich Mitgefühl mit der Bedrückung meines Nächsten habe. Kurzum: Moral gehört zur Conditio humana. Gott ist dafür nicht notwendig. Eher im Gegenteil. Denn die Religion ist ein gutes Mittel, solche moralischen Empfindungen auszuschalten. Geschichte und Gegenwart bieten genügend Beispiele dafür, dass normale Individuen in anderen nicht den Mitmenschen, sondern den Feind sahen, sobald sie von ihm durch religiösen Eifer getrennt waren.

Natürlich braucht man nicht unbedingt Religion, um Kriege vom Zaum zu brechen und andere Länder zu überfallen und zu besetzen.

Aber die Religion nützt sehr, Aggression zu wecken und zu erhalten. Sie ist ein gutes Mittel, den Unterdrückten zu einem moralisch minderwertigen Subjekt zu machen, das froh sein kann, wenn ihm die Zivilisation, der wahre Glauben oder was auch immer gebracht wird. Und Religion ist ein gutes Mittel, um dem Unterdrücker die Gewissheit zu geben, sein Handeln sei von Gott gerechtfertigt. Zudem wird Unrecht, das sich religiös begründen lässt, eher akzeptiert.

 

Martin Luther, Oscar Romero und Radko Mladic

Wir wissen, dass es viele Ungläubige gab, die sich an den Menschenrechten vergingen, aber auch sehr viele Gläubige. Und es gab viele Gläubige, die gegen Unrecht aufstanden, aber auch viele Ungläubige.

Martin Luther King trat für die Nachkommen der Sklaven ein; sein Namenspatron Martin Luther hetzte gegen die Juden und segnete die Obrigkeit, die während der Bauernaufstände die „mörderischen Rotten“ der Freiheitskämpfer erschlagen ließ.

Franjo Tudjman, der kroatische Staatspräsident, war ein gläubiger Katholik, General Radko Mladic, der Führer der serbischen Armee, ein orthodoxer Christ. Beide waren große Anhänger der „ethnischen Säuberung“ und des genozidalen Massenmords, der ohne die Versessenheit auf ethno-religiöse Identitäten gar nicht hätte funktionieren können. Denn nur anhand der Kriterien „katholisch“, „orthodox“ und „muslimisch“ waren die Südslawen überhaupt auseinanderzuhalten.

Oskar Romero, der Erzbischof von San Salvador, stellte sich vor dreißig Jahren in El Salvador mutig auf die Seite des unterdrückten Volkes und wurde deshalb von faschistischen Todesschwadronen erschossen, deren Anführer gläubige Christen wie er waren.

 

Glaube und Unrechtsempfinden

Sieht man sich die Geschichte der meisten Freiheitsbewegungen an, waren es jedenfalls meist die säkularen Kräfte, die sich mit dem Unrecht der Welt nicht abfinden wollten, während die Gläubigen in der Mehrzahl ihr Heil im Gebet suchten - ganz abgesehen davon, dass sich meist eine Bibelstelle fand, die die Eroberung eines Landes, die Unterdrückung der Frauen oder die Beibehaltung der Sklaverei legitimierte. “Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der säkular oder Freidenker war, sich gegen das Unrecht stellte, war extrem hoch“, schreibt Christopher Hitchens in Hinblick auf den Kampf gegen die Sklaverei in Amerika. “Die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand aufgrund seiner religiösen Überzeugungen gegen die Sklaverei und Rassismus stellte, war ziemlich klein. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aufgrund seines Glaubens die Sklaverei und den Rassismus verteidigte, war statistisch extrem hoch, und das war auch der Grund dafür, dass der Sieg über das Unrecht so lange auf sich warten ließ.“

Wir alle, ob gläubig oder nicht, wissen, dass wir uns gut fühlen, wenn wir etwas getan haben, was vor unseren Kriterien einer moralischen Lebensführung zu bestehen vermag, und dass wir uns schlecht fühlen, wenn wir etwas getan haben, was unseren moralischen Vorstellungen widerspricht. Wir haben in einem solchen Fall Gewissensbisse. Da brauchen wir keinen Gott über uns.

Im Gegenteil: Meist sind es der Welt zugewandte Menschen, die Unrecht als besonders unerträglich empfinden, während ein guter Gläubiger oftmals die fixe Idee in seinem Kopf hat, dass die rein äußerlichen Unterschiede auf Erden keine Rolle spielen, da alles Irdische ohnehin eitel sei.

 

Gottes Videoüberwachung

Sklave oder Bürger? Alles unwichtig. Ja mehr noch, oftmals wurde unterstellt, „der gute Sklave, der sich in seine Sklavenrolle fügt“ (Michel Onfray), tut ein gottgefälliges Werk, weil er wie ein guter Diener seines Herrn auf dem Platz bleibt, auf den ihn Gott auf Erden gestellt hat - eine Demutshaltung, mit der er sich einen Platz im Paradies verdient.

„Ein jeder bleibe in der Berufung, in der er berufen wurde“, heißt es in der Luther-Bibel (1. Kor 7, 20), woher bezeichnenderweise auch das deutsche Wort „Beruf“ stammt. Jeder soll bleiben, was er ist, denn er ist von Gott dorthin berufen, und der Knecht mag zwar irdisch unfrei sein, aber wenn er den Herrn bei sich weiß, dann ist er „ein Freigelassener des Herrn“ (1. Kor 7, 22). Toller Ratschlag !

Gewiss sind die Heiligen Schriften der großen monotheistischen Religionen auch so etwas wie das Inhaltsverzeichnis der moralischen Imperative der Menschheit. Das Tötungsverbot, die Nächstenliebe, das Mitgefühl für den Mitbürger oder die Aufrichtigkeit sind für das Funktionieren eines jeden Gemeinwesens zentrale Werte, sodass es nicht wundert, dass sie praktisch in allen Moralkatalogen vorkommen, egal ob religiös oder nicht.

*

Soweit die Meinung von Robert Misik und vieler anderer Zeitgenossen - selbst in „katholischen Hinterhofmonarchien“ Europas ...

Ich denke, hier passiert eine verhängnisvolle Verwechslung: Es wird das Wirken Gottes in der Welt und im Menschen mit den Praktiken von Glaubengemeinschaften, Gruppen oder auch mit jener von Einzelpersonen, dessen Handeln sozusagen „im Namen Gottes“ erfolgt, verwechselt.

Zuallererst muss einem bewusst werden, dass es sich bei Gott um einen autonomen Willen handelt. Gott kann durchaus unabhängig von Eindrücken, die manche von ihm haben, sowie unabhängig von Gewohntem handeln. Gott handelt meist anders, als jenes Bild, das viele von ihm haben, entspricht. Gott kann durchaus als der Andere auftreten; und oft wird gerade dadurch die praktizierte Religion wieder entgiftet.

Ganz schön wird das Wirken Gottes durch Seine 99 wunderbaren Namen, wie es unsere Glaubensnachbarn aufzählen, beschrieben. Manchmal wird es notwendig Gott von „seiner“ praktizierten Religion zu unterscheiden - und dies tun dann auch manche, welche einem Gewohnt-Gläubigen etwas fremd oder befremdlich vorkommen. Kommt jedoch die Botschaft der Unterscheidung an, wird das Wesentliche wiederentdeckt, und gesundet die Religion wieder, handelt es sich um einen „Gepriesenen Fremden“.

Manchmal scheint da sogar eine neue Religion zu entstehen, oder sich von der Hauptströmung gar eine neue abzuspalten. Dies war jedoch ursprünglich gar nicht beabsichtigt, aber wenn die Menschen für ihre Entwicklung so etwas brauchen, wird ihnen das keineswegs genommen werden. Denn nicht umsonst heißt es: „Es gibt keinen Zwang im Glauben“.

Gott wird in Seinen 99 schönsten Namen auch als der Friede bezeichnet. Dies jedoch nicht als Eigenschaft ...

*

Wie aber kommt es zur Entstehung der Verwechslung zwischen Gottes Wirken und dem Handeln „in seinem Namen“ ? Wo doch so offensichtlich ist, dass da ganz wer anderer als Gott handelt, auch wenn dies in seinem Namen geschieht. Der Name des Herren soll zwar nicht missbraucht werden, sagt schon das Zweite Gebot - und doch passiert das immer wieder.

Überrascht ? Aber dies macht nicht Gott, sondern andere, nämlich jene, ohne die auszukommen mal unserer Kultur zuträglicher wäre.

Den Grund für derartige Verwechslungen suche ich bei jenem, über den bislang überhaupt nicht gesprochen wurde. Weder im Artikel vom Robert Misik, noch in den unterschiedlich anderen Meinungen von Nachbarn oder Kollegen war vom Satan, dem Teufel, die Rede.

Es handelt sich aber nicht bloß um den platten bösen Teufel, sondern um „den Ankläger am Hofe Gottes“. Es gibt nämlich nichts außerhalb der Allmacht Gottes, sogar der Teufel wird von ihm „zugelassen“.

Gerade diese Anklägerrolle des Satans ist der Grund, warum Menschen „Gott aus ihrer Mitte verbannen“. Denn der Satan klagt nicht nur den Menschen vor Gott an - er antwortet darauf mit Jesus Christus und mit all den Propheten und Erneuerern, mit denen Seine Religionen wieder gesunden -, sondern er klagt auch Gott vor dem Menschen an.

Die beliebteste Anklage ist das „Wie kann Gott das zulassen ?“, und da ist z.B. Evamarias „Warum es keine Superhelden gibt“ im „Kurswechsel“ (in das Wesentliche), das wir letztes Jahr mit großem Erfolg gelesen haben, eine stimmige Antwort für mich. Jene Anklage, welche zur fatalen Verwechslung und zur Ansicht, dass wir besser ohne „videoüberwachenden“ Gott leben können, führen, wird meist gar nicht als Solche wahrgenommen. Darin werden nämlich die Taten mancher Menschen, die in „seinem Namen“ erfolgten, angeklagt, und dies auch wieder in zweifacher Weise. Nämlich Gott vor dem Menschen, und den Menschen vor Gott (Missbrauch Seines Namens).

Gottes Antwort kennen wir. Im Annehmen seiner Antwort (die ja den Teufelkreis durchbricht) werden auch wir befähigt gesunde Antworten auf die Anklagen Satans zu geben. Im Verhältnis zu Gott und im Verhältnis untereinander.

Eleventy.at - Verein - Produkte - Völker - Zeitung: Ausgaben - Themen - Titel - zurückblättern - weiterblättern