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G E R D ' s

E L E V E N T Y

W I E . G E H T ' S ?

Aus dem Campus

der Seelenturnenden in Wien

für Milan

 

Schon in meinem ersten Studium ist mir der Austausch im Campus wichtig gewesen. Weil das damals noch in Vollzeit erfolgt ist, hat sich der Campus praktisch auf vielerlei Art ergeben, wie etwa beim gemeinsamen Kochen oder beim edv-unterstützten Planetenspiel im Studentenheim, in der evangelischen Studenten-Gemeinde im selben Haus, auf der Wirtschaftsuniverstität selbst - und mitunter eben durch meine Zeitung, welche eigentlich durch diesen Campus hervor gegangen und erst viel später zum Vereinsorgan geworden ist.

 

So viel Gutes die Jahrhundertwende in unserer Schule wie auch in unserer Kunst selbst hervorgebracht hat (die Eurythmie ist etwa zwischen 1912 und 1924 auf die Welt gekommen), so hat sie - wohl durch den Wunsch zu strukturieren und unser Studium für andere, die unseren Kontext nicht so gut kennen, nachvollziehbar zu machen - nach meinem Empfinden manche Formalitäten mitgebracht:

Zum einen das Zählen der Stunden (worauf ich schon in einer meiner Geschichten angespielt habe) als Indikator, wie weit im Studium fortgeschritten bin:
Ich habe dies nie gebraucht und will das auch gar nicht brauchen. Nehme ich mein Studium erst, weiß ich von innen her und im Austausch mit anderen - eben durch den Campus - ganz genau wo ich bin … Benötigen wir nur konventionelle Kriterien für jene Objektivität, oder vermögen wir sie durch Mittel, die wir uns ja ohnedies kreativ erarbeiten, selbst zu entwickeln ?

Zum anderen der Vertrag: Abgesehen von der Bekundung studieren zu wollen und einer Anregung, was dabei alles zu beachten ist - wir lernen ja alle - mache ich das ja zum einen mir mir selbst, und zum anderen daraus mit der Gruppe, dem Kollegium, der ganzen Schule und mit dem Verein, aus. Ich verstehe ihn als Anregung, was zu beachten ist, ernst darf ich ihn allerdings selbst nehmen … Aber all dies habe ich ja schon zuvor erfahren und erleben dürfen. Als so schlecht hätte ich das „vorige Jahrhundert“ nicht empfunden, dass dies, was mir darin ernst geworden ist, jetzt neue Studenten hierfür diesen Vertrag benötigen.

Wir haben ja das Glück - und so Gott will, auch den Segen - all jenes, was über unseren Alltagsmenschen hinausreicht, zu erlernen; darunter wohl auch, was meine Selbstwahrnehmung angeht.

 

Werte Leser, ich nehme an, ihr seid auch der Meinung, dass ich recht viel schreibe - auch mal abgesehen von den Geschichten …

Doch - davon bin ich selbst überrascht - besuche ich seit Jahren einen Kurs für medizinisch Interessierte, worin mir vermittelt wird, dass die Eurythmie an sich heilsam ist, und aus dem dort wirklich esotherischem Hintergrund mir Vieles im Studium verständlicher geworden ist. Ich habe dort noch niemals mitgeschrieben, obwohl das die meisten tun. Meine einzigen Aufzeichnungen sind Fotos vom Stephan. Ich selbst habe nichts mit- oder von anderen abgeschrieben, nicht einmal eine durchgenommene Form aufgezeichnet. Ich habe ausschließlich zugehört, wiederholt und mitgemacht - und da im Tun und Erleben viel gewonnen.

Das Mitschreiben wäre mir nämlich zu Lasten meines Erlebens und des Dabeiseins in den wesentlichen Augenblicken gegangen. Dies ist (bei mir) auch in den regulären Kursen der Ausbildung der Fall, und dies bezieht sich auch auf die Zeit danach. Das Einzige, was ich da aufzeichne, ist die durchgenommene Form, der Text und die Noten.

 

Zu bewegen ist mir zunächst viel stimmiger und einfacher, als verbal zu beschreiben. Im Vergleich dazu empfinde ich die Schriftlichkeiten als viel umständlicher.

Dies veranlasst mich nach Entsprechungen dazu in meinem Berufsleben zu suchen, aufzuspüren, wie auch zur Frage, ob wir dem naturwissenschaftlichen Denken weiterhin so anhaften, oder es stimmiger wäre, sich ein lebendiges Denken, eines das im Lebendigen steht und dem Wesenszug jenes Leibes, wo das Gedächtnis wohnt, gemäßer ist, zu entwickeln … anstatt alles und jedes auf Kosten des Augenblickes aufzuzeichnen. Im vorigen Jahrhundert und im ersten Studium habe ich das so gemacht.

Ich mache das auch noch im Beruf. Ich schreibe auf, verfasse Protokolle, um bei Meinungsverschiedenheiten nachzusehen, was ich mir aufgezeichnet habe. Da muss ich ein Stück weit Alltagsmensch sein, und ich bin mitten unter ihnen ... Hier aber - bei uns Seelenturner - haben wir doch ganz andere Möglichkeiten. Zum Beispiel das Unterschiedliche auszuprobieren, es in Bewegung am eigenem Leib zu erfahren - als bloß in der Protokollmappe nachzuschauen. Wer die Mappe braucht, soll sie brauchen dürfen - das ist in meinem Alltag auch nicht anders - aber hier probiere ich andere Möglichkeiten aus, welche darüber hinausreichen.

Außerdem merke ich mir Formen und Übungsinhalte viel besser im Tun und Wiederholen, als mir das gleich aufzuschreiben. Wenn schon zu Papier Bringen, dann eher Zeichnen ...
Milan hat mir das mal schön mit „in die Gewohnheit Bringen“ formuliert: erst, z.B. die Form, in meine Gewohnheit bringen, um dann damit arbeiten zu können.

Ich schreibe lieber Jenes, das gewissermaßen durch mich hindurchgegangen ist, auf - und mache dies weniger, um mich dorthin zu bewegen. Im Letzterem nehme ich mir viel vom „vorausahnendem“, hinfühlendem Erleben weg. Im Seelenturnen möchte ich dies zuvor am eigenem Leib erlebt und bewegt haben, worüber ich schreibe - so z.B. spezielle Wörter, mein Geleit zu dieser Ausgabe, oder wie folgt.
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„... Aber man kann Licht und Finsternis in ihrer Dynamik auch als schöpferische Prinzipien verstehen, aus deren Konflikt die Schöpfung, als das Dritte, einen Anfang nimmt. Dann hat man es eher mit einem Polaritätsverhältnis zu tun, wobei sich Licht und Finsternis miteinander vermischen und eine dritte Substanz entsteht.“ aus: Goetheanum 50-51 aus 2017.

Eine Begegnung der Gegensätze, welche sich scheinbar ausschließen, habe ich bereits in meinem Jahrsiebent auf dem Weg zur Eurythmie als einen Tanz beschrieben. Daraus sind meine Beschreibung mit den Geschichten der mir Vertrauten in jenen Fünf Erden unserer Vereinigung erwachsen.

Ich erwähne dies, weil aus meinen Geschichten, welche in unserem Organ vor 2015 erschienen sind, der Eindruck erwachsen könnte, dass ich das Eine oder Andere schon aus jener Bewegungskunst und deren Umkreis aufgeriffen habe … doch es ist mir umgekehrt gewesen - oder habe ich etwas aufgegriffen, was noch nicht gegenwärtig da gewesen ist ?: Durch das Eine und Andere - berichtet im F'Chawei zum Gruße meiner erfahrenen Mitstreiter - bin ich zur Eurythmie gekommen … Ich habe dann gestaunt, und staune mitunter auch heute, wenn mir damals Vertrautes auf diesem Wege neu kommt … erneut zugetragen wird.

Nun meine ich, dass sich jener Tanz nicht nur zwischen zwei, sondern auch mehrerer „Polaritäten“ - etwa Individuen - abspielen kann.
Ist nicht jede von uns (auch) ein Pol ? Manchmal wird daraus meine Intention als „gut“ und die „des Anderen“, wenn nicht gleich als „böse“, dann zumindest als „unverständlich“ oder „nicht nachvollziehbar“ erlebt ? Etwa, wenn Eigen-Arten differieren …

Im dramatischen Zwiegespräch sind es dann wieder zwei Pole …

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Nun habe ich erfahren, dass bestimmte - selbst einfache - Tänze nur gemeinsam (mindestens zu Zweit) möglich sind, oder anders:
Freilich bringe ich mich ein, oder lasse mich mittragen, aber
jene Tänze sind uns nur in der Gemeinschaft möglich. Was aus ihnen erwächst vermag ich alleine nicht hervorzubringen oder zu er-schaffen.

Mehrere Grenzen habe ich erlebt: zuerst jene des Alltagsmenschen, dann jene des Intellekts, und dann jene des Einzelnen. Bei jeder Grenze bin ich irgendwie nicht mehr weiter gekommen und habe mich vertrauensvoll auf unseren Campus, auf unsere Gruppen, auf den (mir) Meister Andreas Keuyken und auf die Dozenten eingelassen … bis heute und darüber hinaus.

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In unserem Fortschreiten in der Ausbildung erlebe ich folgende Charaktere, welche ineinander fließen, diese ich jedoch gerne voneinander unterscheide:
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Die Werkstätte der Instrumentenbildung:

Darin bilde ich mein Instrument, vergleichbar mit einer Werkstatt eines Geigen-, Flöten- oder Posaunenbauers.
Diesen Charakter hat Frau Edeltraut Zwieauer einst erwähnt, und ich habe ihn durch Andreas Keuyken kennen gelernt, weil das auch eine „Knochenarbeit“ sein kann.
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Von der Instrumentenbildung zur Entwickelung:

Hier eigenen wir uns ein Stück (Gedicht/Text oder Musikstück) an. Zum einem im Prozess vom Aufgreifen bis zum in-Bewegung-Kommen, und zum anderen im Entwickeln der Bewegung, wie etwa die Form, der Rhythmus und die Lautierung. Darin probiere ich aus, was und wie viel davon ich mache/bewege, in Abstimmung meines Bewegens in der Gruppe … Mir entspricht dies dem „klassischen Proben“ in Chören oder musizierenden Bands und Gruppen.

Darin sind mir die Übstunden, auch einzeln, am wichtigsten. Dies habe ich etwa mit meiner Frau Margit gemeinsam. Sie spielt Trompete in einem Posaunenchor.
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Von der Entwicklung zum Spiel:

Dieser Charakter ist für mich der schönste, denn da spielen wir, was wir uns erarbeitet und errungen haben. Nicht mehr und nicht weniger. Frei von weiteren Ansprüchen probiere ich nichts mehr aus oder muss etwas erreichen, sondern ich spiele einfach. Da erwächst mir Eurythmie am ehesten, zumal ich für wen (konkrete Person und/oder das Publikum) spiele. Das ist mir ganz anders als die Werkstätte und die Entwicklung.

Im Spiel unterscheide ich zwischen Fest-Spiel und dem freien Spiel, obwohl dies natürlich auch ineinander zu fließen vermag. Das Fest-Spiel ist mir feierlicher und dem Kultus nahe, wie z.B. die Wochensprüche aus dem Seelenkalender, oder die Jahres- oder Gedenkfeste. Das freie Spiel ist mir ausgelassener, hat weniger „Rahmen“, benötigt mir darin aber am meisten „Können“ und Gelassenheit.

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