Eleventy.at - Verein - Produkte - Völker - Zeitung: Ausgaben - Themen - Titel - zurückblättern - weiterblättern

G E R D ' s

E L E V E N T Y

T I E F L I C H T

Thomas Buchtipp

Am Anfang der Ausgabe steht dieses Mal ein Buchtipp von Thomas, weil dieser unsere Ausgangslage, welchem dann der Beitrag zum Namen der Ausgabe folgen wird, beschreibt.

 

Für diesen Tipp habe ich (Thomas) ein Buch ausgewählt, das besonders gut in unseren Themenschwerpunkt "Heimat - Erde - Regionalität vs. Globalisierung" passt:

Karin Kneissl "Die zersplitterte Welt - Was von der Globalisierung bleibt."

 

"Globalisierung" war eines der Schlagworte der letzten beiden Jahrzehnte. Doch spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise orten viele Beobachter eine Deglobalisierung bzw. Rückkehr ins globale Dorf. Es gibt zahlreiche Fakten, die tatsächlich dafür sprechen. So befindet sich laut "Financial Times" der Geldfluss im globalen Finanzsystem derzeit auf dem gleichen Niveau wie vor zehn Jahren. Die grenzüberschreitenden Kapitalflüsse in die G-20-Länder seien gemessen am Höhepunkt von Mitte 2007 um rund zwei Drittel gesunken.

"Amerika ist heute von expandierenden Staaten weniger bedroht, als wir es von scheiternden Staaten sind", hieß es bereits 2002 in der nationalen Sicherheitsstrategie der US-Regierung. Staaten zerfallen, scheitern, implodieren. Die damit einhergehenden Missstände - von Flüchtlingselend bis hin zum Export extremer Ideologien und Gewalt - bringen nicht nur Nachbarländer, sondern auch weiter entfernte Staaten in die Bredouille. Dabei ist die Fragmentierung von Staaten nur ein Phänomen einer sich immer weiter zersplitternden Welt.

Territorial manifestiert sich die "Zersplitterung der Welt" durch die weitere Desintegration von Staaten. Dieses Phänomen begann zwar bereits nach dem Ersten Weltkrieg (auf den folgende Prozesse wie der Zerfall Jugoslawiens in den letzten Jahrzehnten ihren Lauf fortsetzten, so als ob es keinen weiteren Weltkrieg und kalten Krieg dazwischen gegeben hätte) und setzte sich im Zuge der Entkolonialisierung fort. Seit der Implosion der Sowjetunion in den 1990er-Jahren und dem damit einhergehenden Ende der bipolaren Weltordnung ist jedoch allerhand in Unordnung geraten. Das Szenario eines Staatenzerfalls bedroht aktuell etwa den Irak, Libanon oder Syrien. Eine Desintegration ist vor allem entlang ethnischer und religiöser Bruchlinien zu erwarten, die Folgen wären gravierend. Würde sich etwa die kurdische autonome Region im Norden des Irak abspalten - darauf deutet laut Kneissl vieles hin - könne dies einen Dominoeffekt auf die ganze Region haben.

Von territorialem Zerfall sind aber bei weitem nicht nur ohnehin fragile Staatsgebilde bedroht. Auch die EU oder einzelne EU-Länder könnten schneller auseinanderbrechen, als man dies in Brüssel und in den jeweiligen Hauptstädten in den schlimmsten Träumen befürchtet. Spanien, Großbritannien oder auch Rumänien haben starke Minderheiten mit separatistischen Tendenzen. Die "Volksbefragung" in Kalabrien und das geplante Referendum in Schottland sind nur zwei Beispiele dafür. Die EU kämpft neben der Rückbesinnung der Mitgliedsstaaten auf nationale Interessen mit einer wachsenden Nord-Süd-Kluft. Jede institutionelle Neuordnung würde das ohnehin stark geschwächte Europa weiter zersplittern lassen.

 

Eine zunehmende Fragmentierung zeichnet sich aber auch auf gesellschaftlicher Ebene ab. Einerseits atomisiert sich die Gesellschaft vom Familienverband zum Individualdasein. Die Finanz- und Wirtschaftskrise führen zudem zu einer wachsenden Polarisierung in Arm und Reich. Europa erlebt die ersten Anzeichen von sozialer Unruhe und wachsender Wut, die bereits Regierungen stürzten, zuletzt in Bulgarien, die aber auch Unruhen wie in Paris deutlich vor den Kopf stoßen. In Bulgarien wurde die Frage der Leistbarkeit von Energie zur Zerreißprobe - ein Szenario, das sich laut Kneissl nach Westeuropa ausbreiten wird und das zur Zeit gerade die Ukraine-Krise überdeutlich in Erinnerung ruft.

Politisch ist eine Zersplitterung durch den Aufstieg von Protestbewegungen und neuen Parteien, etwa den Piraten in Deutschland, bemerkbar.
Eine tiefe Entfremdung zwischen der politischen Führung und den Bürgern ist die Folge einer Krise der politischen Kaste.

Nicht zuletzt zersplittert auch die Arbeitswelt. Auf Grund der permanenten Verfügbarkeit der Menschen durch moderne Technologien und der von den Arbeitnehmern geforderten Flexibilität zerfallen Arbeitszeiten und klassische Lebensschemata.

Kneissl will die vielen anstehenden und bereits im Laufe befindlichen Prozesse nicht beklagen, sondern vielmehr darstellen. Dabei wirft sie Fragen auf, die gerne unter den Tisch gekehrt werden und bringt Perspektiven von außerhalb des eurozentristischen Weltbildes mit ein. Ihre Sich des Zustands der Welt fällt reichlich düster aus:

"Es gibt meines Erachtens keine Garantie, dass die Umbruchszeiten geordnet und friedlich verlaufen."

Karin Kneissl arbeitete bis 1998 im diplomatischen Dienst für Österreich, schreibt seitdem als freie Autorin unter anderem für "Die Presse" und die "Neue Zürcher Zeitung" und ist als Dozentin in Wien und in Beirut tätig. Karin Kneissl ist renommierten Expertin auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen mit Hang zur Beschäftigung mit dem Untergang von Großreichen. Kneissl spürt auf, welche Phänomene, Ideen und Institutionen weltweit vor dem Zerfall stehen. Und wird öfter fündig, als so manchem lieb sein mag. den neuen sozialen Fragen.

"Die zersplitterte Welt" ist im April 2013 unter der ISBN 978-3-99100-086-0 im Braumüller Verlag erschienen, umfasst 286 Seiten und ist um EUR 21,90 im Buchhandel erhältlich..

Eleventy.at - Verein - Produkte - Völker - Zeitung: Ausgaben - Themen - Titel - zurückblättern - weiterblättern