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G E R D s

E L E V E N T Y

P d M . 5 0

Thomas Buchtipp

Diesmal habe ich für meinen Buchtipp wie schon so oft ein Werk ausgesucht, das eng mit unseren Themen Globalisierung / Regionalität verknüpft ist.

"Der überflüssige Mensch" - ein Essay zur Würde des Menschen im Spätkapitalismus von Ilija Trojanow.

Wir sind zu viele auf der Erde: Diese "Philosophie" des Briten Thomas Malthus erlebt in der gegenwärtigen Krise eine Renaissance. Gerade die sogenannte "Elite" findet Gefallen an dieser Ansicht. So wurde dieser in Ansprachen unter anderem von Bill Gates und Warren Buffet gerne zitiert.

Dass selbst Charles Darwin in seiner Evolutionstheorie gerade zum Thema der Verdrängung einzelner Spezies bei Malthus Anleihe nimmt, und wiederum die Wirtschaft dann im Zuge ihrer Argumentationen pro Kapitalismus Darwin in diesem Punkt zitiert, ist meiner Ansicht nach die sprichwörtliche Katze, die sich in den Schwanz beisst, doch dies nur am Rande.

Soziale Ungerechtigkeit halten viele heute für gottgegeben. Genau dagegen lehnt sich Ilija Trojanow in seiner Streitschrift "Der überflüssige Mensch" auf. Sein Aufruf zu mehr Empathie ist faktenreich begründet und liefert gut recherchierte Beispiele beängstigender Entwicklungen.

Wer nichts produziert und nichts konsumiert, ist überflüssig - so lautet die mörderische Logik des Spätkapitalismus. Trojanows Thesen sind nicht neu: "Das Sein ist ersetzt worden durch das Konsumieren", heißt es da. Die Gesetze des Marktes schränkten demokratische Freiheitsrechte ein, ökonomisch Mächtige steuerten gesellschaftliche Prozesse so, dass ihre Interessen geschützt, die aller anderen jedoch missachtet würden. Ob europäisches Prekariat, Langzeitarbeitslose in Deutschland oder Kleinbauern in Indien - unter ökonomischen Gesichtspunkten würde eine hohe Anzahl von Menschen schlichtweg überflüssig.

Trojanow wirft die Frage auf, wer heute im "Raumschiff Erde", einem System wachsender Bevölkerung und rasant fortschreitender Automatisierung, verzichtbar und überflüssig ist.

Die Kritik des Autors bezieht sich darauf, dass diese Frage "niemals im Sinne der Gemeinschaft reflektiert, sondern von der Evidenz der Machtverhältnisse beantwortet wird." Dazu führt er etliche konkrete Beispiele an. Sie sind nachvollziehbar - und überraschend. Wer weiß schon, dass CNN-Gründer Ted Turner und Computer-Pionier Bill Gates über Nahrungsmittelkontrollen einen Rückgang des weltweiten Bevölkerungswachstums in Milliardenhöhe ins Auge fassen? Verhungern sollen die anderen, dabei wären aber gerade die schwerreichen Einwohner des Westens unter ökologischen Gesichtspunkten verzichtbar: 2005, so Trojanow, konsumierte das reichste Prozent der US-Amerikaner genauso viel wie die 60 Millionen Ärmsten des Landes.

Überflüssig ist derjenige, dessen Arbeitskraft nicht in den kapitalistischen Kreisläufen profitabel genutzt werden kann. Ein Subsistenz- oder Kleinbauer ist somit extrem überflüssig, auch wenn er um ein Vielfaches nachhaltiger lebt als ein Großstädter. Ginge es tatsächlich um ökologische Prioritäten, würde man die Überflüssigen zuallererst bei Superreichen wie Bill Gates, Mitt Romney und diverser Tea Party Anhänger ausfindig machen, deren persönlicher Verbrauch dem ganzer afrikanischer Städte entspricht. Mit anderen Worten: Je materiell erfolgreicher jemand im existierenden System ist, desto ökologisch destruktiver lebt er.

Aber der weiße Mann hat sich seit jeher als so wertvoll wie tausend braune, gelbe oder schwarze Männer begriffen. In der Masse machen stets nur die anderen unseren Planeten kaputt.

Hunger ist der Hauptgrund für unnatürliches Sterben auf der Erde: Jährlich verhungern 18 Millionen laut den Statistiken der FAO (der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen). Die Hälfte der Kinder in Indien sind schwer unterernährt, 200.000 Kleinbauern verüben jedes Jahr Selbstmord. Die Finanzkrise 2007/08 hat laut Angaben der Weltbank weitere 69 Millionen Menschen in den Hunger gestürzt. Präziser als die salbungsvolle Rhetorik von Thomas Malthus ist die nüchterne Feststellung von Mahatma Gandhi: "The world has enough for everyone's need, but not for everyone's greed."

Die Automatisierung hat, das war allen bewusst, zu einem Einbruch der Arbeitsplätze im Produktionssektor geführt. Nur glaubte man lange Zeit, die Arbeiter im expandierenden Dienstleistungssektor auffangen zu können. Dort sorgte ein exzessives Preis-Dumping aber für Niedrigstlöhne, mit denen kaum ein Auslangen zu finden war. Das Ergebnis sieht man jetzt besonders eklatant in Europas gar nicht mehr so sonnigem Süden.

 

Die Angst vor der drohenden Arbeitslosigkeit übt aber auch auf die Vollbeschäftigten einen enormen Druck aus. Große Teile der Freizeit werden jetzt dazu benützt, sich zu vervollkommnen; in Workshops und Kursen versucht man, die Grenzen der eigenen Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit immer weiter in die Höhe zu schrauben.

In der ersten Welt sorgt da das ständig wachsende Heer an Arbeitslosen für Besorgnis. Eine Ursache dafür ist ein durch die Globalisierung völlig deregulierter Arbeitsmarkt. Für ausländische Investoren zählt da oft nur der schnelle Profit.

Trojanows Essay ist eine humanistische Streitschrift wider der Überflüssigkeit des Menschen. In seinen eindringlichen Analysen schlägt er den Bogen von den Verheerungen des Klimawandels über die Erbarmungslosigkeit neoliberaler Arbeitsmarktpolitik bis zu den massenmedialen Apokalypsen, die wir, die scheinbaren Gewinner, mit Begeisterung verfolgen. Doch wir täuschen uns: Es geht auch um uns. Es geht um alles.

 

Ilija Trojanow, geb. 1965 in Sofia, Bulgarien, ist ein vielfach ausgezeichneter deutscher Schriftsteller, Übersetzer und Verleger.
Bekannt wurde er vor allem durch seinen 2006 erschienenen Roman "Der Weltensammler", der mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde.

"Der überflüssige Mensch" ist im August 2013 im Residenz Verlag unter der ISBN 9783701716135 erschienen, umfasst 90 Seiten
und ist für diejenigen, die konsumieren und sich somit dem System nützlich erweisen, im Buchhandel um EUR 16,90 erhältlich.

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