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G E R D ' s

E L E V E N T Y

T I E F W E I S S . 2 0 0 9

Kongo Fluss

(Text von Johannes Klietmann)

Auch wenn „Universum“ sehr selten diesen Eindruck vermittelt, ist Afrika durchaus kein wasserleerer Kontinent. Es gibt Gebiete in Afrika, in denen Regenwälder gedeihen und es massenhaft Wasser gibt, in Regenzeiten beinahe schon zuviel. Dementsprechend gibt es auch eine ganze Menge großer Ströme in Afrika.

Einer davon ist der Kongo Fluss und hat für ein erstaunliches Phänomen gesorgt.
An den Ufern des Kongo leben nämlich unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, und zwar schon ziemlich lange. Auch der Kongo ist schon lange da, wo er heute ist. Er ist ein gewaltiger Strom, der eine Unmenge Tonnen Wasser pro Sekunde befördert. Es ist praktisch unmöglich, selbst für ein Tier, das wirklich gut schwimmen kann, einfach mal eben über den Kongo zu schwimmen. Schimpansen können, wie alle Menschenaffen, den Menschen selbst ausgenommen, nicht schwimmen. Sie hüten sich daher wohlweislich, dem Wasser auch nur zu nahe zu kommen.

Wie gesagt, der Kongo ist schon ziemlich lange dort, wo er ist. So lange, dass sich die Schimpansen mittlerweile in zwei Arten getrennt haben. Beide sind unsere nächsten Verwandten, wir sind nicht mit einer Gruppe näher verwandt als mit der anderen, denn als sich unsere eigene Entwicklungslinie abspaltete, waren sie - bzw. ihre Vorfahren - noch eine einzige, gemeinsame Art.

Die eine, bekanntere, Gruppe sind die eigentlichen Schimpansen.
Sie sind kräftig gebaute Menschenaffen mit einem interessanten Sozialsystem. Die Position in der Gruppe hängt davon ab, wer die Eltern sind, wen man durch Lärm beeindrucken kann und wem man den Rücken krault. Im Falle der Schimpansen ist das noch wörtlich zu verstehen. Üblicherweise gibt es ein dominantes Männchen mit mehreren Verbündeten, das die anderen Männchen stets unter seiner Kontrolle hält, sich aber auch Verbündete suchen muss und sich mit den Weibchen gut stellen muss, denn gegen die gesamte Gruppe kann es wenig ausrichten.

Schimpansen sind nicht nur friedlich, und sie sind auch keine reinen Pflanzenfresser. Als einzige Menschenaffenart - uns selbst ausgenommen - gehen sie gezielt auf die Jagd, oft auf kleinere Affen.
Untereinander können sie ziemlich gewalttätig werden, wenn es darauf ankommt, obgleich sie natürlich normalerweise friedlich zusammenleben und großartige Formen der Zusammenarbeit kennen.

Die weniger bekannte Gruppe sind die so genannten Bonobos.
Sie sind kleiner und zarter als die Schimpansen, haben längere Gliedmaßen und können besser auf zwei Beinen gehen. Soweit ich weiß, jagen sie nicht oder nur sehr selten. Zumindest habe ich es von ihnen noch nicht gehört. Auch sonst ist ihre Gesellschaft ein wenig anders gestaltet, denn sie haben einen - meines Wissens nach - im Tierreich einzigartigen Weg gefunden, soziale Spannungen zu entschärfen. Sie haben nämlich Sex miteinander.

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Während bei Schimpansen ganz klar geregelt ist, wer darf und wer nicht, herrscht bei den Bonobos der Traum aller Hippies:
Es darf nämlich jeder mit jedem. Oder jeder. Oder wie auch immer. Es herrschen keine Tabus, was Sex betrifft, es darf jedes Männchen mit jedem Weibchen - Verwandtschaftsverhältnisse sind egal - oder auch mit jedem Männchen oder zwei Weibchen oder was den Tieren halt gerade einfällt.
Die sexuellen Kontakte übernehmen dabei die Funktion des Rückenkraulens, sie dienen der Beseitigung sozialer Spannungen und Konflikte und sind Teil der alltäglichen sozialen Kontakte - und ich meine wirklich alltäglich. Kein Bonobo zieht sich für so etwas vor der Gruppe zurück. Im Gegensatz zu praktisch allen anderen Tieren, die in Gruppen leben, stört sich das dominante Männchen - oder sonst jemand - nicht an dem Treiben. Interessanterweise können die Weibchen irgendwie verhindern, dass sie trächtig werden, wenn sie gerade nicht dazu bereit sind. Wie, ist nicht bekannt.

Aber das wirklich Verblüffende ist, dass sich die Menschheit ähnlich verhält wie beide Schimpansenarten, zumindest, wenn man die Gesellschaft betrachtet.
Die individuellen Moral- und sonstigen Ansichten sind sehr viel komplizierter, aber bei ganzen Gesellschaften zeichnet sich ein interessantes Muster ab.

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Die eine - größere - Gruppe hat eigentlich kein Problem damit, zu töten, aber Sex wird in (fast) jeder Form als größte denkbare Sünde betrachtet.
Ich möchte hier die USA erwähnen, in denen - außer in Hollywoodfilmen - alles, was an Sexualität erinnert oder erinnern könnte, verurteilt wird, besonders in den Südstaaten. Oft wird Verhütung als etwas ganz Schreckliches betrachtet und Verzicht gefordert, ja, sogar Aufklärungsunterricht in den Schulen wird oft bekämpft.

Leute zu töten wird hingegen als normal betrachtet. Viele Staaten haben die Todesstrafe und nur die übliche kleine Minderheit stößt sich wirklich daran. In den Krieg zu ziehen, Verbrecher hinzurichten oder dergleichen mehr werden als reinigende Akte beziehungsweise notwendige Kämpfe für eine gute, richtige Sache empfunden und daher akzeptiert.

Interessanterweise findet sich dieses Muster durchaus auch bei Leuten, die den USA ganz weit ferne stehen - es gibt viele Gruppen, für die es kein großes Problem darstellt, Leute zu verurteilen oder auszuschließen und somit zumindest seelisch zu verletzen oder gar tatsächlich physisch anzugreifen, aber die Sexualität am liebsten ganz abschaffen würden. Da dies nicht geht, muss so etwas zumindest strengstens reglementiert sein.

Das Gegenkonzept ist eine genaue Spiegelung des ersten.

Bei diesen Gesellschaften, ich zähle Europa oder zumindest West- und Mitteleuropa dazu, wird Sex als etwas betrachtet, dass die Einzelnen für sich bzw. gerade noch mit den jeweiligen Partnern ausmachen müssen. Generell wird es als normal angesehen, sexuelle Kontakte in welcher Art auch immer zu haben, ohne dass besondere Vorschriften gemacht würden.

Außer natürlich, es würde jemand verletzt, denn das ist der Punkt, den diese Art Gesellschaft überhaupt nicht aushalten kann. Das Töten, physische Verletzen oder auch nur psychische Verletzen von Menschen wird als unverständlich und entsetzlich betrachtet und soll daher nach Möglichkeit vermieden werden. Diese Gesellschaften betrachten Krieg eher als das eigentliche Problem und nicht als notwendiges Übel zur Lösung eines Problems. Sie lehnen die Todesstrafe ab und sind für Resozialisierungs- und Therapiemaßnahmen. Das Verletzen oder gar Töten von Leuten wird als das eigentlich Böse gesehen und strengstens reglementiert, während Sexualität mehr oder weniger nur dadurch geregelt wird, dass es eben nicht Recht ist, andere damit zu verletzen.

Aus irgendeinem Grund scheint tatsächlich eine gewisse Korrelation zu bestehen. Man sollte das tatsächlich mal psychologisch untersuchen: Gesellschaften oder Gruppierungen neigen dazu, entweder Sex zu verdammen und Gewalt mehr oder weniger hinzunehmen oder umgekehrt. Es gibt natürlich viele Übergangsstadien, aber je mehr das Eine abgelehnt wird, desto eher wird das Andere akzeptiert.


Ich weiß nicht, warum das so ist, aber meiner Beobachtung nach ist es so. Praktisch alle Gruppierungen, für die Sexualität sozusagen die Ursünde darstellt, haben wenig Probleme mit verschiedenen Formen - sanktionierter, also erlaubter - Gewalt, während Gruppen, für die Gewalt die Ursünde darstellt, kaum Probleme mit Sexualität jeglicher Form und Variante haben.

Für Einzelpersonen gilt das natürlich nicht, denn hier fehlen noch zwei Kategorien: Leute, die konsequent beides nicht mögen und natürlich die Gegenkategorie, für die sowohl Gewalt als auch Sex akzeptabel sind. Diese Gegenkategorie heißt James Bond, sonst habe ich noch niemanden dieser Art getroffen. (Okay, James Bond habe ich auch nie getroffen.)

Wohlgemerkt: Ich habe bewusst geschrieben, dass es Gesellschaften sind, um die es hier geht, und um ihre moralischen Ansprüche. Diese Ansprüche haben bekanntermaßen wenig mit dem zu tun, was dann tatsächlich getan wird. Worum es hier geht, ist, welches Verhalten als gut betrachtet wird und wofür man sich eher schämen sollte, wenn man es tut. Ich sage nicht, dass das, was nicht als richtig betrachtet wird, nicht getan wird. Ich sage nur, dass es eben als eigentlich, wenn man’s genau nimmt, im Prinzip nicht richtig betrachtet wird, unabhängig davon, ob es tatsächlich getan wird oder nicht.

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Abschließend könnte noch die Frage auftauchen, welche Verhaltensweise denn die eigentlich natürliche ist.

Tja, traurigerweise muss ich zugeben, dass meines Wissens nach die natürlichste Verhaltensweise die von James Bond ist. Der Mensch als Wesen an sich trägt stets sowohl den Trieb, seine Gegner zu vernichten, als auch den Sexualtrieb in sich. Interessanterweise lässt sich das Nicht-Ausleben des einen scheinbar mit Ausleben des anderen Triebes kompensieren oder zumindest scheinen die Gesellschaften das unbewusst zu glauben. Beide Seiten haben Recht, denn einerseits ist Töten und Verletzen tatsächlich etwas sehr Schlimmes, das Schlimmste, was Menschen einander anzutun pflegen, andererseits würde vollkommen ungeregelte Sexualität nur für Chaos und Streit sorgen.

Interessanterweise geht genau Letzteres mit der Zweiteilung einher: Üblicherweise sieht die Seite, die eher Gewalt als Sex akzeptiert, Ordnung als etwas Gutes und unbedingt zu Erhaltendes an, während die andere Seite Ordnung zwar als prinzipiell gut, aber nicht allzu wichtig ansieht. Umgekehrt betrachtet die Seite, die eher Sex als Gewalt akzeptiert, Rücksicht auf andere als etwas ungemein Wichtiges, während die andere Seite Rücksicht als prinzipiell gut, aber im Notfall höheren Werten unterzuordnend betrachtet.

Das klingt bisher nicht sehr optimistisch, nicht wahr ?
Es ist aber auch nur eine Beobachtung, vielleicht stimmt sie gar nicht, aber manchmal habe ich den Eindruck, man könnte die Gesellschaften dieser Welt - stark überspitzt gesagt - in prüde Killer und wehleidige Sexuelle unterteilen.

Zum Abschluss aber noch eine positive, optimistische Aussage, dass alles gut wird:

...

Sorry, mir fiel nix ein. Aber zur allgemeinen Beruhigung: Ich bin auch verrückt.

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