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G E R D s

E L E V E N T Y

S T U F E N

Dabei Sein ist alles

(für meine Liebe unter Freunden in Bewegung)

 

Spätes Feedback mit Verbesserungsvorschlägen für Entwicklungsumgebungen

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Einer meiner Freunde - ein klarer Denker und Analyst - hat mir vor rund einem Jahr ein „Quart-Erlebnis“, oder anders formuliert, ein „Aufwachen am Anderen“ beschert, und mich darin auf die Notwendigkeit (m)einer
Instrumentenbildung in der Suche nach der Wirklichkeit aufmerksam gemacht.

In der Interpretation der Tatsachen … wird gestritten, sich geirrt und ausprobiert, bis sich herausstellt, dass die Ideen zu (ausreichend) passenden Vorstellungen führen. Ideen ändern sich, neue kommen hinzu und wir lernen ständig weiter. Es fehlt die Arroganz, die Behauptung aufzustellen „Ich habe das so erlebt, also ist es auch so und kann nicht anders sein“.

Sir Karl Popper, ein Wissenschaftsphilosoph, hat das so beschrieben, dass Säulen in den sumpfigen Untergrund gerammt werden, bis ausreichender Halt vorhanden ist. Ja, das ist schwierig, und ja, das bedeutet die Bereitschaft, bereits vorhandene Überzeugungen zu ändern und neuen Erkenntnissen und Entdeckungen anzupassen. Mir ist durchaus klar, dass das weh tut; es gibt nur wenig, das unangenehmer ist als die eigene, liebgewonnene Meinung aufgeben zu müssen, bloß weil sie widerlegt (oder relativiert) wurde. Das ist ja auch der Grund, warum Erkenntnis niemals eine Einzelsportart sein kann: Sie benötigt die Überprüfung durch andere, oder wenigstens durch möglichst unbeeinflusstes Ausprobieren (mit eigenem Instrument, mitunter im Walde ... und dann inhouse in der Gruppe, wenn möglich).

Einerseits verstehe ich jetzt hier unter Idee „Bild“ oder „big picture“, unter Meinung „Bewegtes“ oder „Lösungsansatz“, und ich finde ich mich hier wieder in der Betonung des Sozialen im Prozess des Erkennens, sowie im Prozess einer agilen Entwicklung eurythmischer Stücke in künstlerischen, oder eben auch von Softwarelösungen in IKT-Projekten.

Andererseits hat sich in mir in den letzten beiden Jahrzehnten die Meinung herauskristallisiert, dass unsere Zukunft davon abhängen wird, ob sich die Menschen selbst als Wesen aufgreifen, auf diese Weise nun ihre bloße Beobachter- und Kommentatorrolle verlassen und sich selbst in das Geschehen einbringen, oder ob sie sich praktisch aufgeben werden. Wir leben in einer Wende-Zeit der Entscheidungen - vergleichbar mit (m)einem Bedarf nach Bekenntnis.
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Ich muss also selbst ran ! Am besten mit eigenem Leib, Seele und Geist. So als Vollmensch vermag ich am besten anwesend zu sein. Denn auf diese Anwesenheit kommt es mir an ...

Dies bedarf jedoch einen Sprung zu mir selbst … Beim Enneagramm schon ein bisschen angedeutet, komme ich da auf Angenehmes, aber auch durchaus Unbequemes, und diverse Unzulänglichkeiten tauchen von der „dunklen See“ in mein Bewusstsein auf. Auf diesem Wege brauchen, meines Erachtens, Menschen Begleitung - ein neuer Aspekt der „Diakonie“ mit entsprechender Pädagogik … Sie brauchen eine soziale Umgebung wertschätzenden Umgangs mit Moderatoren und Pädagogen, wie auch freie und gemeinsame Räume, welche eine individuell-soziale Entwicklung gestatten ... eben eine Entwicklungsumgebung.

In (m)einer Weiterentwicklung im Arbeiten an sich selbst und miteinander an uns selbst, kommt es zur Bildung jener Instrumente, welche mir/uns eine Anwesenheit und jenes Dabei Sein, das alles ist, gestatten …
Da sind die Wege recht indivduell, und diese können Jahre dauern … Ich habe meinen halt mit anderen Menschen in der Eurythmie gefunden.

 

Erster Teil: Die Erziehung des Denkens zu Staunen

V (Winkel)

So fange ich mit jenen Werkzeugen, womit ich mir ein Bild mache, an ... und greife dabei das Denken und das Wahrnehmen auf.
Inzwischen bieten sich auch uns schon zwei Krisen mit unmittelbarer Betroffenheit als willkommene Anlässe an, damit einmal anzufangen.

Wie in der vorigen Ausgabe versprochen und schon mehrmals angesprochen, teile ich uns mit, dass ich hierzu mit Hilfe von Andreas Kuykens Kurse für medizinisch Interessierte (in Richtung Heileurythmie) Impulse und Anregungen aus Rudolf Steiners „Die Welt der Sinne und die Welt des Geistes“ (GA 134) gefunden habe. Es handelt sich hier um Auszüge des ersten von sechs Vorträgen, wobei eigene Erfahrungen im Leben und Auseinandersetzungen mit dem Text farblich hervorgehoben sind.

Schon im alten Griechenland wurde ausgesprochen, wovon zunächst das gesunde menschliche Nachsinnen auszugehen hat, wenn es Aussicht haben will, einmal zur Wirklichkeit zu kommen. Und jener Ausspruch, der im alten Griechenland schon getan worden ist, gilt ganz gewiss noch immer. Man hat nämlich schon im alten Griechenland gesagt: Alles menschliche Nachforschen muss ausgehen von dem Staunen.

Fassen wir das aber in positivem Sinne auf, meine lieben Freunde !

Fassen wir es in dem positiven Sinne auf, dass tatsächlich in der Seele, die zur Wahrheit dringen will, dieser Zustand einmal vorhanden sein muss, vor dem Universum staunend zu stehen. Wer nämlich die ganze Kraft dieses griechischen Ausspruches zu fassen vermag, der kommt dazu, sich zu sagen: Wenn ein Mensch - gleichgültig, wie sonst die Verhältnisse sind, durch welche er zum menschlichen Forschen und Sinnen kommt - von dem Staunen ausgeht, also nicht von irgend etwas anderem, sondern vom Staunen über die Weltentatsachen, dann ist das so, wie wenn man ein Samenkorn in die Erde steckt und eine Pflanze daraus emporwächst. Denn alles Wissen muss in gewisser Weise zum Samenkorn das Staunen haben.

Im Staunen über etwas verbinde ich mich damit, es kann zu mir kommen und gleichzeitig (im Gegenstrom dazu) interessiere ich mich, etwa im seelischen „Ah …“ oder „Oh …“. Dies wird mir zu etwas Besonderem … Im Walde etwa werde ich langsamer im Gehen, schaue mich um und/oder bleibe auch stehen … Ich verbinde mich, ich bin da … Wie sonst soll ich (von) Dies(em) und Jenes/m erfahren, wenn ich nicht beginne im Staunen „Da zu sein“, worüber ich staune oder mich auch wundere.

Aus dem Staunen kann später ein Austausch erwachsen.

Anders aber ist es, wenn ein Mensch nicht vom Staunen ausgeht, sondern vielleicht davon, dass in gewisser Jugendzeit seine braven Lehrer ihm eingebläut haben irgendwelche Grundsätze, die ihn zum Philosophen gemacht haben; oder wenn er Philosoph geworden ist, nun, weil es in dem Stande, wo er aufwuchs, Sitte ist, dass man etwas derartiges lernen muss, und er durch die gerade vorhandenen Umstände zur Philosophie kam. Bekanntlich ist auch das Examen in der Philosophie am leichtesten zu machen. Kurz, es gibt Hunderte und Tausende von Ausgangspunkten für die Philosophie, die nicht vom Staunen, sondern von etwas anderem herkommen.

Alle solche Ausgangspunkte, die führen nur zu einem solchen Zusammenleben mit der Wahrheit, das sich vergleichen lässt damit, dass man aus Papiermache eine Pflanze macht und nicht aus dem Samen sie zieht. Der Vergleich gilt vollständig, denn alles wirkliche Wissen, das Aussicht haben will, überhaupt etwas zu tun zu haben mit den Weltenrätseln, das muss aus dem Samenkorn des Staunens hervorgehen. Und es kann einer ein noch so scharfsinniger Denker sein, er kann schon, man möchte sagen, an einer gewissen Überschwenglichkeit des Scharfsinns leiden: wenn er niemals durchgegangen ist durch das Stadium des Staunens - es wird nichts daraus; es wird scharfsinnige, kluge Verkettung von Ideen und nichts, was nicht richtig wäre, aber das Richtige braucht nicht auf die Wirklichkeit zu gehen.

 

Es ist eben durchaus notwendig, dass, bevor wir zu denken beginnen, bevor wir überhaupt unser Denken in Bewegung setzen, wir durchgemacht haben den Zustand des Staunens. Und ein Denken, das sich ohne den Zustand des Staunens in Bewegung setzt, das bleibt im Grunde genommen doch ein bloßes Gedankenspiel. Also das Denken muss urständen, wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf, im Staunen. Und weiter. Das genügt noch nicht. Wenn das Denken nun urständet im Staunen und der Mensch gerade durch sein Karma veranlagt ist, recht scharfsinnig zu werden, und er durch einen gewissen Hochmut sehr bald dazu kommt, sich selber zu erfreuen an seinem Scharfsinn und dann nur noch den Scharfsinn entwickelt, dann hilft ihm auch das anfängliche Staunen nichts. Denn wenn, nachdem das Staunen in der Seele Platz gegriffen hatte, der Mensch nun im weiteren Verlaufe seines Denkens nur denkt, dann kann er nicht zur Wirklichkeit vordringen.

Wohlgemerkt, ich betone das auch hier (im Kreis der Zuhörerschaft der Vorträge), ich will nicht sagen, dass der Mensch gedankenlos werden soll und dass das Denken schädlich ist. Denn das ist eine weit verbreitete Anschauung auch in theosophischen Kreisen: man hält das Denken geradezu für schlimm und schädlich, weil man sagt, der Mensch muss vom Staunen ausgehen. Aber er braucht nicht, wenn er ein bisschen angefangen hat zu denken und aufzählen kann die sieben Prinzipien des Menschen und so weiter, wiederum mit dem Denken aufzuhören, sondern das Denken muss bleiben.

 

Zweiter Teil: Die Erziehung des Denkens zur Ehrfurcht

X (Kreuz)

Es muss aber nach dem Staunen ein anderer Seelenzustand kommen, und das ist der, den wir am besten bezeichnen können mit der Verehrung für das, an was das Denken herantritt.

Nach dem Zustand des Staunens muss der Zustand der Verehrung, der Ehrfurcht kommen. Und ein jegliches Denken, das sich emanzipiert von der Ehrfurcht, von dem ehrfürchtigen Aufschauen zu dem, was sich dem Denken darbietet, das wird nicht in die Wirklichkeit hineindringen können. Niemals darf das Denken sozusagen auf eigenen leichten Füßen dahintänzeln in der Welt. Es muss wurzeln, wenn es über den Standpunkt des Staunens hinweggekommen ist, in der Empfindung, in dem Gefühl der Verehrung der Weltengründe.

Da kommt allerdings der Erkenntnispfad sogleich in einen ganz gewaltigen Gegensatz zu dem, was man heute Wissenschaft nennt. Denn wenn Sie jemandem, der heute im Laboratorium vor seinen Retorten steht und Stoffe analysiert und durch Synthese wiederum Verbindungen aufbaut, sagen: Du kannst eigentlich doch die Wahrheit nicht erforschen! Du wirst zwar hübsch zerlegen und hübsch zusammensetzen, aber was du tust, sind bloß Tatsachen. Du gehst pietätlos, ohne Verehrung entgegenzubringen den Tatsachen der Welt, an diese heran. Du solltest eigentlich mit derselben Pietät und ehrfurchtsvollen Verehrung dem, was in deinen Retorten vorgeht, gegenüberstehen, wie ein Priester am Altar steht.

Was wird ein solcher Mann Ihnen heute antworten ? Wahrscheinlich wird er Sie auslachen, furchtbar auslachen, weil es vom gegenwärtigen (inzwischen vor über hundert Jahren) wissenschaftlichen Standpunkt aus gar nicht einzusehen ist, dass die Verehrung irgendetwas zu tun haben soll mit Wahrheit, mit Erkenntnis. Der Mann wird Ihnen, wenn er Sie nicht auslacht, höchstens sagen: Ich kann mich wirklich begeistern für das, was in meinen Retorten vorgeht, aber dass diese meine Begeisterung etwas anderes sein soll als meine Privatsache, dass die etwas zu tun haben soll mit der Wahrheitsforschung, das kannst du einem vernünftigen Menschen tatsächlich nicht begreiflich machen.

Man wird mehr oder weniger närrisch erscheinen gegenüber den Wissenschaftern, wenn man davon spricht, dass das Forschen und namentlich das Denken über die Dinge niemals sich emanzipieren darf von dem, was Verehrung genannt werden muss, dass man keinen Schritt im Denken machen darf, ohne dass man durchdrungen ist von dem Gefühl der Verehrung für das, was man erforscht. Das ist das Zweite.

Dazu nahe steht mir eine „innere Andacht“ und eine Behutsamkeit, welche mitunter (äußerlich-oberflächlich betrachtet) als eine gewisse Zögerlich- oder Vorsichtigkeit missverstanden werden kann.
Manche nennen es aber schlicht
Respekt und Achtsamkeit (etwa vor der Natur oder indigenen Völkern).

Wenn, wie anfangs erwähnt, Erkenntnis niemals eine Einzelsportart sein kann, kommt das Soziale hinzu, also die Ehrfurcht, den Respekt und die Achtsamkeit den anderen gegenüber, bzw. einander.

Johannes Kiersch etwa schreibt in seinem schon hier erwähntem Essay, dass das Mittelalter eine eindeutige Sichtweise mit Definitionen und stabilen Begriffssystemen sucht, während die Zeit in der wir jetzt leben, mit wechselnden Perspektiven arbeitet, mit Respekt vor Vieldeutigkeiten und in der Gewissheit, dass es niemals endgültige Wahrheiten geben wird. Sie stellt alle Traditionen in Frage und kritisiert Autoritäten. Wissenschaftliche Forschung geht da, wo sie wirklich vorankommt, behutsam vor, geduldig, mit Respekt vor den immer wieder neuen Rätseln ihres Beobachtungsfeldes.

Das zuerst erwähnte Mittelalter (manchen das „vorige Leben“ in inzwischen mehrfacher Hinsicht ...) erinnert mich an Fest-Stellungen und an stehende Charaktere und Wahrheiten.
Die jetzige Zeit (manchen das „neue Leben“ mit Bewusstsein ...) erinnert mich an Bewegung und an und
sich entwickelnde Charaktere. Denn wie sonst als mit Bewegung (z.B. im Motivschwung) könnte ich eine Perspektive wechseln ? Auch die praktische Wahrheit ist beweglich und nicht mehr festnagelbar ... das wäre wie Karfreitag oder wie ein Schattenwurf des „Mittelalters“ ... sondern lässt sich stets aus den Prozessen (er)finden, (er)hören, (ein)sehen, (er)leben ... Die Erziehung des Denkens zur Ehrfurcht einander wird zur Anforderung für agiles Vorgehen zur Bewältigung unserer heutigen Aufgaben.

Achtsamkeit als Lebenshaltung ist der seelische Kern aller Umwelt-Aktivitäten. Dies darf auch so zur individuellen Natürlichkeit im Sozialen gesehen werden.

 

Weiter zum dritten und vierten Teil.

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