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G E R D s

E L E V E N T Y

S T U F E N

Bewusstseins-Geschichten

(für Andreas)

 

Wenn ich (Gerd) es nicht schon ein Stück weit bin, werde ich noch zum Zwilling, der mit Uniformen einfach kein Auslangen findet. Mit dem gelben Götterboten im Bunde ist er niemals mit nur einer Meinung, einem Aspekt, einem Blickwinkel, einem Weg, oder mit nur einer Wahrheit zufrieden. Alles Wissen ist Stückwerk, sagt schon Paulus; und ich meine dazu, eben auch das konventionell-naturwissenschaftliche oder konfessionell-theologische.

Zwilling kommt (mir) von „zwi“, der Zwei. Zu etwas Gewordenem wird etwas Zweites, wie ein Doppelgänger, beigestellt. Gleichen sich die zwei, wird gerne auf den Begriff des Zwillings zurück gegriffen. Unterscheiden sie sich äußerlich voneinander, erfolgt dies viel seltener. Dennoch vermögen (mir) die beiden Ausprägungen Zwillinge zu sein, sofern sie mit dem selben Wesentlichen zusammen hängen. Aber um dies zu erkennen, benötigt es den gelben Götterboten mit geflügelten Schuhen und Helm. Jener gelbe Freund verbindet Himmel und Erde, und er findet Zusammenhänge.

So nütze ich meine Kontakte und Möglichkeiten, mir zum Beispiel zur gegenwärtigen Krise (noch immer „Corona“ …) mich mit einer weiteren, zweiten Meinung vertraut zu machen.
Etwa mit einer von einem Anthroposophen - ich komme nun mal auch mit
bewegten Anthroposophen zusammen - der versucht, sich nach Corona zurechtzufinden.

Es handelt sich um Johannes Kiersch, Jahrgang 1935. (Ich kenne ihn nur aus der hier abgebildeten Broschur.) Er war als Waldorflehrer und Ausbilder in der Waldorfpädagogik tätig. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Beiträge zu pädagogischen Themen sowie zum Schicksal der anthroposophischen Bewegung. Er meint „Für alles, was sich da abspielt, sind keine geheimen Verabredungen nötig. Die maßgeblichen Akteure werden von Zwängen gelenkt, aus denen sie sich nicht befreien können.“ Aus dem Garten der vielen Ansichten zur Krise … ja, ja mir existiert nicht nur jene der Bundes-Regierung oder jene der Regierung der inzwischen einst lebenswertesten Metropole der Welt … vermag ich die obige Aussage noch am ehesten nachzuvollziehen.

 

In seinem Essay erweitert Johannes Kiersch erst mal die Evolution auf die Seele und auf das Bewusstsein des Menschen. Alle Lebenwesen und mit ihnen der Mensch haben sich entwickelt.
Er beschränkt dies jedoch nicht alleine auf den gewohnten äußerlichen Körper, sondern spricht von einer Mentalitätengeschichte der (unbewussten) Beweggründe des Geschehens.

Was aber hat dies mit dem anfangs erwähntem Charakterzug des Zwillings zu tun ?

Der gelbe Freund führt mich aus meinen Denk-Gewohnheiten hin zu einer zunächst zweiten Möglichkeit. Zum Beispiel vom „stehenden“ zum „sich entwickelnden“ Charakter, vom stehenden Sein im Augenblick zum (sich ver-) wandelnden stets Werdendem im Lauf der Zeiten … von der Ruhe zur Bewegung im Sich Wandelndem und mitunter auch umgekehrt im Gewordenem. Oder auch ganz einfach von Meilensteinen zu Prozessen (im Dazwischen), ohne das zuerst Genannte aufzugeben.

So:

Ereigniswahrnehmung in Gestalt von Episoden … gemeinsam eingespielte Abläufe von Handlungen noch ohne Sprache … Kultur mit eigenem mimetischen Stil („Körpersprache“) --> Der Tanz … rituelle erzählende Tänze (mir) wie im Traum … Traum-Tänzer, Erzählende aus der Traumzeit … M …

Sprechen … zunächst Klang und Laute mit rituellen Wiederholungen … Lautkombinationen, die in archaischen Zaubersprüchen auftauchen … Das Lied und der Gesang … seelischer Innenraum, der sich von der Welt des sinnlichen Wahrnehmens unterscheidet / entfernt …

Schreiben … löst das „gesprochene“, noch mit dem ganzen Menschen erlebte Wort, vom Sprecher ab … festhaltend „objektivieren“ … Die Niederschrift … im Sinne von: das Hernieder-Geschriebene … N …

Die Kraft des logischen Denkens erschließt mir meinen bewussten Zugang zu den Phänomenen meines inneren seelischen Lebens … Augustinus: „Gehe nicht hinaus, in dich selbst kehre zurück - im inneren Menschen wohnt die Wahrheit.“ … Vorstellungswelten im Mittelalter … Dante Alighieris Divina Commedia … Europa …

Religiöse Bilderwelten … Die Welt-Bilder aus symbolischem Denken … Symbolismus … Gefahr des Abnabelns jener „inneren Welten“ vom unmittelbaren Wahrnehmen und von lebensweltlichen Phänomenen, etwa im Suchen der Wahrheit in der Technik der Abstraktion.

Johannes Kiersch erwähnt (dazu) Ernst Cassirer, der (mir) einen zweiten Aspekt kultureller Entwicklung näher bringt: Eine Kultur entwickelt sich keineswegs allein durch die Kraft des theoretischen Erkennens. Auch in den Bildern der Mythen, beim Sprechen, in allen Künsten entwickelt(e) der Mensch allmählich das Vermögen, seine äußeren Wahrnehmungen mit Bewusstsein zu durchdringen, in „symbolischen Formen“ unterschiedlicher Gestalt …

Dies findet etwa im Bilden und Herstellen von Beziehungen zwischen den Wahrnehmungen, die zunächst als Ausdruckserlebnisse bewusst werden, seinen Anfang.
Das „Verstehen von Ausdruck“ ereignet sich wesentlich früher als das „Wissen von Dingen“.

Eine weitere Entwicklung, aus welcher eine „Zwillings-Ausprägung“ des-Selben erwächst, liegt (mir) im Verständnis der Freiheit des Individuums. Die inzwischen vielen Menschen geläufige Seite ist jene des
Unicums der „Persönlichkeit“ mit ihrer Chance ihre Triebseele im Schutzraum eines „Egoismus“ und der Selbstbehauptung zur inneren Ausgeglichenheit (Gleichgewicht) zu veredeln. Daraus folgt etwa ein liberales „Leben und Leben lassen“ im Verhältnis zu Mitmenschen.

Die noch weit weniger geläufige und praktizierte Seite ist jene des sozialen Bewusstseins des Individuums, welche auch wir in unserer Vereinigung zu fördern beabsichtigen. Diese Seite scheint in sich schon zwei Pole zu haben, nämlich das Individuum als einzelner - aber doch konkreter - Mensch; gegenüber der Gemeinschaft in Gruppen und Teams. Jedenfalls kommt das Individuum auf das Du und das Wir. Möglichkeiten der Begegnung tun sich auf.

Daraus begegnet dem zuvor erwähntem Freiheitsimpuls des „Leben und Leben lassen“ ein sensibles Etwas, das wie von selbst entsteht, wenn ich mich ganz zurücknehme und in geduldiger Gelassenheit ein Bild von der Befindlichkeit meiner Umgebung in mir entstehen lasse. In weiterer Folge kann zum Beispiel ein unter Anthroposophen oft zitiertes „Motto der Sozialethik“ von Rudolf Steiner erwachsen:

Heilsam ist nur, wenn

Im Spiegel der Menschenseele

Sich bildet die ganze Gemeinschaft

Und in der Gemeinschaft

Lebet der Einzelseele Kraft.

 

Johannes Kiersch Essay hat die globale Corona-Pandemie zum Anlass eines Rückblicks in die Entwicklungsgeschichte des menschlichen Bewusstseins genommen, um im Überblick den Sinn für die Brisanz der Lage zu schärfen … Ein persönlicher und zugleich grundlegender Beitrag um unsere Gegenwart tiefer zu verstehen.

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