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G E R D ' s

E L E V E N T Y

A M . S Ü D S E E

Ichling

Johannes Wort der Ausgabe

© (soweit mir bekannt) Prof. Dr. Haller

 

Ich habe dieses wunderbare Wort in einem psychologischen Buch kennengelernt, wo es den Narzissten beschreibt.

Ganz kurz umschrieben ist ein Narzisst jemand, der sein übertrieben schwaches Selbstwertgefühl dadurch zu stützen versucht, dass er sich einen noch übertriebeneren Großartigkeitskomplex zulegt.
Kurz und leicht übertrieben (außer in schweren Fällen): Ein Narzisst stellt sich immer in den Mittelpunkt und erwartet, von allen anderen verehrt zu werden, ist bei der kleinsten Beleidigung (was schon zu geringe Verehrung auslösen kann) sofort extrem gekränkt, aber seinerseits zu keinerlei Rücksicht gegenüber anderen Menschen fähig, da sich alle seine Gefühle um ihn selbst drehen.

 

Ich habe mich oft gefragt, was -ling eigentlich bedeutet.

Das Suffix (Endung, Gegenteil zu Präfix: Vorsilbe) -ling bedeutet in unserer Sprache, dass jemand oder etwas mit dem vorangestellten Wort definiert wird. Beispiele wären etwa der Frischling, der Neuling, der Stichling (das ist ein Fisch), der Schädling, der Nützling, der Schwächling, der Schreiberling, der Feigling… kurz und gut: wird es an ein Adjektiv gehängt, wird dieses Adjektiv zum das ganze Wesen definierenden Begriff aufgebaut (weswegen die meisten -linge nicht eben schmeichelhaft sind - wer wird schon gerne auf eine einzelne Eigenschaft reduziert? Ich nicht, ich bin eindeutig ein Nichtreduktionsling).

 

Nun zum Ichling: Trotz sprachlicher Nähe zum Stichling ist er zwar vergleichbar kalt und vergleichbar verletzend, aber häufiger anzutreffen, und seltener unter Wasser.
Wir finden dieses seltsame Wesen sehr oft im sogenannten Scheinwerferlicht, wo es sich allerdings auf Grund von Konkurrenz unter seinesgleichen nicht immer voll entfalten kann. Am besten geht es einem Ichling, wenn er - oder sie - als einziges halbwegs prominentes Wesen an einem Ort ist, wo es bevorzugt noch einen Scheinwerfer gibt. Auch ohne Scheinwerfer können sie jedoch leben, dann erfinden sie sich üblicherweise ihren eigenen, psychologischen Scheinwerfer: Sind sie Chefs oder wichtigere (oder auch nur ranghöhere) Personen, werden sie sowieso besonders beachtet; richtige Ichlinge jedoch vermögen eine besondere Atmosphäre des "Verehre mich - und wehe, du tust das nicht !" verbreiten (ja, ich sehe schon, wie hier Namen und Gesichter assoziiert werden…).

 

Selbst im kleinsten Kreis, also einer Zwei-Personen-Massenansammlung von Leuten können sie dieses Spiel spielen, allerdings ist dann eben das Publikum kleiner.
Dennoch ist es möglich, dass sich jemand in den Mittelpunkt stellt und erwartet, dass sich beider Aufmerksamkeit um ihn dreht (oder sie, wie gesagt). Nur allein ist das schwierig - aber das wird schon gehen.

 

Wir alle kennen solche Leute, nicht wahr ?
Bis zu einem gewissen Grad tragen wir es alle auch selbst in uns - wer möchte nicht bewundert, geachtet, geliebt werden? Hand hoch und ab zum Psychotherapeuten!
Ernsthaft, es ist nichts Schlechtes dabei - solange man nicht anderen damit Schaden zufügt, was wahre Ichlinge grundsätzlich, ohne Rücksicht, ja, ohne Sensorium für den angerichteten Schaden tun.

 

Daher:

Der Ichling (Homo non sapiens sed egoisticus):

Raubtier. Aufmerksamkeits-, Bewunderungs- und Energiesäugetier, das zur Balzzeit (immer, wenn es mögliches Publikum wittert) seine Besonderheit aggressiv demonstriert, unabhängig von deren realer Existenz. Vermag selbst mit Unterlegenheit oder Verletzungen zu prahlen und zu erpressen. Besonderes Nervgift in der Zunge, das überall in Hörweite verspritzt werden kann, dessen Kontakt zunächst völlig unnötige Bewunderung für den Vergifter sowie Minderwertigkeitskomplexe, später große Aversion verursacht.

Der Ichling lauert besonders gerne nahe Fernsehkameras, in Chefetagen und Feierlichkeiten, wo er nach Beutetieren (sogenannten "Bewunderern") Ausschau hält.
Wird bei Nichtbeachtung aggressiv. Warnung an den Tierfreund: Höflich bleiben, Kontakt aber nach Möglichkeit vermeiden. Tatsachen sind nett, aber unerwünscht, Kritik (auch konstruktiv-freundliche) wird als Angriff fehlinterpretiert. Gegenangriffe des Ichlings sind immer übertrieben.

Ichlinge sind strikte Einzelgänger, leben grundsätzlich parasitisch und vermeiden darum Kontakt mit Ihresgleichen. Höchste Vorsicht ist geboten, wenn zwei (oder mehr) Ichlinge aneinander geraten, da "Kollateralschaden" in ihrem Wortschatz komplett fehlt. Der Kampf wird (zumeist) dadurch ausgetragen, dass um Bewunderung gebalzt wird. Wer besser balzen kann, ist der größere Ichling und behält das Revier (den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit). Vorsicht: Gerade vertriebene Ichlinge sind oft besonders aggressiv und nehmen ihre Opfer, wenn sie denn eines finden können, besonders gründlich in Beschlag.

Kann leicht mit dem Schein-Ichling verwechselt werden, der tatsächlich auf Grund von realer Besonderheit im Mittelpunkt steht.
Typisches Unterscheidungsmerkmal: Der echte Ichling sucht das Scheinwerferlicht und gönnt es sonst niemandem, während der Schein-Ichling es eher meidet und zumeist auch anderen gegenüber freundlich bis bewundernd auftritt, was ein Ichling nie tun würde.

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