©
mein Vater (Mag.
Wolfgang Klietmann)
Entstanden
ist dieser wundervolle Begriff als bewusster
"Verleser" beziehungsweise Sprechfehler aus dem
Begriff "Überraschungsei" (für alle, die
bewiesen haben, dass wir Worte auch dann
flüssig lesen, wenn nur Anfangs- und
Endbuchstabe stimmen und alle anderen notwendigen
Buchstaben zwar da, aber wahllos verteilt sind:
lest bitte das Titelwort noch einmal ganz genau
durch), und er hat mir dermaßen gefallen,
dass ich ihn als Wort des Monats aussuchen musste.
Und damit wechseln wir spontan das Thema, zumindest
scheinbar.
Wer
kennt noch Fipps, den Affen, von Wilhelm
Busch?
Wilhelm
Busch war der freundliche Herr, der uns Max und
Moritz beschert hat. Ich werde mich jetzt gar nicht
lange über seine weiteren Werke auslassen, und
Fipps zählt auch definitiv nicht zu meinen
Lieblingswerken, aber er enthält eine perfekte
und vollinhaltliche Beschreibung von Werbung. Womit
auch klar sein sollte, dass wir das Thema gar nicht
gewechselt haben, sondern uns im Gegenteil diesem
vorsichtig annähern. Aber zunächst mal
der entsprechende Teil.
Er
beginnt damit, dass ein Mann zu Fipps Palme rudert,
der mit sich zwei Paar Stiefel im Boot hat, jedoch
keine angezogen hat. Er tritt ans Ufer und
trägt die Stiefel unter den Armen. Ab jetzt im
Original:
Er
trägt sie sorglich unterm Arm
und
jammert dabei, dass es Gott erbarm.
Kaum
aber ziehet der Trauermann
sich
einen von seinen Stiefeln an,
so
mildern sich ganz augenscheinlich
die
Schmerzen, die noch vor kurzem so
peinlich,
und
bei Stiefel Numero zwei
zeigt
er sich gänzlich sorgenfrei.
Dann
sucht er in fröhlichem Dauerlauf
den
kleinen Nachen wieder auf
und
lässt aus listig bedachtem Versehn
das
kleine Paar Stiefel am Lande stehn.
Ratsch!
ist der Fipps vom Baum herunter,
ziehet
erwartungsvoll und munter
die
Stiefel an die Hinterglieder,
und
schau! der lustige Mann kommt wieder.
Oh
weh! die Stiefel an Fippsens Bein
stören
die Flucht. Man holt ihn ein.
Vergebens
strampelt er ungestüm,
der
Schiffer geht in den Kahn mit ihm.
In
weiterer Folge landet Fipps in einem Haushalt in
Deutschland, wo er verschiedenen Unsinn anstellt -
darum geht es hier nicht.
Das
eigentlich Interessante ist nämlich, dass hier
Werbung an sich perfekt dargestellt wird:
Zunächst wird (fälschlicherweise)
demonstriert, wie schlecht und erbärmlich es
jemandem gehen muss, der/die/das [hier ein
vollkommen beliebiges Produkt einfügen]
nicht hat. Danach wird die unglaubliche,
wundervolle, paradiesische, allumfassende
Erlösung, Befreiung, man könnte fast
sagen Apotheose, beinahe schon religiöse
Ekstase und Seligkeit in bunten Bildern und, nach
Möglichkeit, auch mit entsprechender Musik
dargestellt.
Und jetzt, ganz genau jetzt kommt das eigentlich
Wichtige: das Opfer glaubt an die dargestellten
Bilder und möchte dieses Wunderprodukt auch
haben - und sobald das passiert ist, geht es uns
wie weiland Fipps. (Ich entschuldige mich, aber das
Wort "weiland" wollte ich schon immer mal
verwenden. Hier darf ich: die Geschichte ist
über hundert Jahre alt.) Wir sind gefangen und
der/die/das Werbetreibende hat seinen Zweck
erreicht. Zum Glück werden wir nicht verkauft,
allenfalls für blöd oder unsere Daten,
aber das Prinzip bleibt gleich.
Nun
arbeitet natürlich Werbung mit wundervoll
widerwärtigen Prinzipien: Sie zeigt
nämlich Bilder von Menschen, die - zumindest
annäherungsweise - so sind, wie wir gerne
wären, aber trotzdem gewisse Probleme haben.
Wir alle kennen die schlanke Frau, die in der
Werbung für Abnehmprodukte entsetzt auf die
Waage schaut, als ob sie übergewichtig
wäre. Das löst in uns
erwiesenermaßen Minderwertigkeitsgefühle
aus - und zwar durchaus beabsichtigt. Wir spielen
ja keine Rolle, sondern unser Geld - das wir
ausgeben sollen. Alles andere ist vollkommen
irrelevant.
Manche
Werbung macht es sich ein wenig einfacher, indem
sie den ersten Schritt auslässt und gleich mit
der paradiesischen Darstellung beginnt. Mein
derzeitiger Favorit diesbezüglich sind
Autowerbungen, die fast ausnahmslos Wunderautos
durch Fantasielandschaften fährt, und das zu
Musik, die besser zu epischen Fantasyfilmen passen
würde als zu so etwas unglaublich Banalem wie
einem fahrenden Auto.
Sehr
oft ersparen sich Werbetreibende sogar den
Großteil von Teil zwei und beschränken
sich überhaupt nur noch darauf, die
Heilsbotschaft und unserer Seelen ewige Seligkeit
im Diesseits möglichst
episch-monumental-gigantomanisch-beknackt
darzustellen und zu vertonen beziehungsweise mit
episch beknackten Bildern zu predigen - oder nein:
als Offenbarung zu verkündigen. Natürlich
müssen sie am Ende der Werbung dann doch noch
verraten, wofür diese Werbung war. Aber
dafür vergeuden sie oft möglichst wenig
Zeit, denn kein Mensch wäre so dämlich,
sich das Produkt einfach nur um des Produktes
willen zu kaufen (stimmt nicht: manchmal sind die
beworbenen Produkte tatsächlich gut. Auch
Werbetreibenden unterlaufen Fehler).
Kurz
zusammengefasst geht es hier um
Folgendes:
Unser
Gehirn ist leider dämlich genug, dass es
Dinge, die es sieht, auch tatsächlich für
wahr hält - in all den Milliarden Jahren
Evolution hat uns nichts für die
Computersimulation vorbereitet.
Wir tendieren dazu, uns mit dem Durchschnitt an
Menschen, die wir sehen, zu vergleichen. Der Haken
dabei ist, dass, wenn wir nur die falschen
Fernsehserien anschauen, die Mehrzahl der Menschen
deutlich besser aussieht als wir. Das entspricht
nicht den Tatsachen, aber woher soll unser Gehirn
das wissen ?
Und des Weiteren wird in der Werbung ja immer
dargestellt, wie paradiesisch unser Leben
wäre, wenn wir uns nur dies oder jenes Produkt
kaufen würden. Was es, sobald wir das Produkt
tatsächlich unser Eigen nennen können,
tatsächlich nicht ist: Unser Leben ist dann
immer noch ganz exakt genau so, wie es vorher war,
nur eben mit diesem Produkt darin. Was oft gar
nicht schlecht ist, bitte mich nicht falsch zu
verstehen. Aber das eigentlich Angestrebte,
die
ich muss leider sagen: Paradieswerdung
unseres Alltags, das (rückbezügliches
Fürwort, bezieht sich auf "das Angestrebte",
ist also nicht falsch) erreichen wir nicht. Dies
macht uns unglücklich.
Wir
sind nun endlich also wirklich unglücklich
geworden, entsprechen also einigermaßen dem
Ausgangszustand, in dem die Werbung einen Menschen
darstellt, der [beliebiges Produkt
einfügen] nicht hat.
Wir
alle wissen, wie das jetzt weitergeht: Man zeigt
uns, dass wir glücklich wären, wenn wir
nur [beliebiges Produkt] kaufen
würden. Endergebnis: Wir kaufen, und darum
geht es. Wir geben unser Geld aus für
bestimmte Produkte. Je besser wir hierbei
hereingelegt wurden, desto erfolgreicher ist das
Produkt. Das hängt dann gar nicht mehr von
dessen Qualität ab, im bedauerlicherweise
kompletten Gegenteil: es hängt
ausschließlich davon ab, wie sehr wir uns
danach sehnen. Und dieses Sehnen erzeugt die
Werbung.
Wir
können uns aber nicht alles kaufen. Und das
heißt: Werbung hinterlässt uns
unglücklich, unzufrieden,
minderwertigkeitskomplexbeladen, sehnsüchtig,
obwohl unser Leben eigentlich in voller Ordnung
ist. Dabei spielt es keinerlei Rolle, ob wir
[Produkt] überhaupt gekauft haben oder
nicht. Kurzum: Wir werden, um uns zum Geldausgeben
zu animieren, ver
äppelt. Daher ist der
Begriff "Überarschungsei" vollkommen
zutreffend und für die Werbeindustrie perfekt
beschreibend. (Die Schokolade mag ich
trotzdem.)
Daher
mein heutiger Rat zum Glücklichsein: Hört
Werbung nicht zu, seht Werbung nicht an, glaubt
Werbung kein Wort, kein Bild, keine Musiknote,
nichts.
Schaut
euch lieber in der Zeit gegenseitig an und sagt
einander was Nettes, das bringt mehr. Dadurch
fühlt man sich nämlich wirklich gut, und
am Ende der Geschichte ist es doch das, was wir
erreichen wollen: Uns gut zu
fühlen.
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