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ORF - ich (Johannes) weiß nicht mehr, welcher
Reporter
Das
Wort wurde anlässlich der letzten Wahl
geprägt - oder war es schon die vorletzte?
Jedenfalls beschreibt es unübertrefflich eine
schreckliche Unsitte: Es wird gejubelt.
Das ist schon unangenehm genug, wenn es auf der
Gewinnerseite geschieht, weil man dann kein Wort
mehr versteht.
Nun
glaubt aber jede Seite, dass sie keinesfalls als
Verliererseite dastehen darf, selbst, wenn das so
offensichtlich ist, wie nur irgendetwas
offensichtlich sein kann.
Also jubeln die Leute trotz allem, trotz aller
Niederlagen, trotz aller Offensichtlichkeit dieser
Niederlagen. Natürlich jubelt niemand
während einer Niederlage. Das macht keinem
Spaß, niemand wird sich über eine
Niederlage freuen. Daher unterbleibt spontaner,
ehrlicher Jubel selbstredend. Die Lücke
zwischen diesen beiden Polen überbrücken
die Knopfdruckjubelchöre: Sobald die Kamera
eingeschaltet wird, legen sie los und jubeln, was
das Zeug hält - unter
größtmöglicher Ignoranz jedweder
Tatsache gegenüber.
Das
einzige, was diese grässliche Unart
erträglich macht, sind die ersten zwei
Sekunden. Wann genau nämlich die Kamera
angehen wird, das weiß niemand. Daher sehen
sie es erst, wenn ein Licht aufleuchtet. Dann
müssen sie erst mal reagieren, während
die Kamera sofort zu übertragen beginnt. Das
ganze sieht dann so aus: Betretene Gesichter,
leises Gemurmel, alle schauen auf den Boden.
Jemand sieht, dass die Kamera an ist, und sofort
fangen alle an zu jubeln, als wären sie bei
irgendwelchen Festspielen als "jubelnde Masse"
engagiert.
Als
nächstes erscheint ein subalterner
Parteisprecher (die eigentlichen Kandidaten oder
Chefs erscheinen nur bei einem Sieg - auch sie sind
ja fest überzeugt, niemals mit einer
Niederlage in Verbindung gebracht werden zu
dürfen) und erklärt langmächtig,
warum es keine Niederlage war (wir haben immerhin
dazugewonnen, auch wenn wir Letzte geworden sind /
wir haben zwar verloren, sind aber nicht Letzte
geworden / wir haben zwar verloren und sind Letzte
geworden, aber nicht so schlimm, wie eigentlich
prognostiziert / es war zwar noch schlimmer als
prognostiziert, aber das lag nur daran, dass die
Prognose das Ergebnis beeinflusst hat - und so
gesehen haben wir ja trotzdem noch
gewonnen).
Ich
wette, dass die Menge wieder aufhört zu
jubeln, sobald die Kamera abgeschaltet
wird.
Nun
stellt sich jedoch die Frage, warum wir das nur
Kandidaten bei einer Wahl gönnen? Es kann ja
nicht so teuer sein, sich ein paar Jubelchöre
zu mieten. Wäre sicher ein guter
Geschäftszweig - der Firmenchef kommt und wird
mit Applaus und Jubelrufen begrüßt. Oder
ein Künstler. Oder ein Star - okay, bei denen
geht das von selbst. Unsere Fußballer
hätten so einen Knopfdruckjubelchor brauchen
können, immerhin wurde ihnen nicht ausreichend
zugejubelt nach ihrem Ergebnis (das übrigens
weit besser war als in vielen Jahren
zuvor).
Oder
noch besser: Jubelchöre für den kleinen
Mann / die kleine Frau! Zum Beispiel als
Geburtstagsgeschenk oder so. Man geht also
über einen Platz, und die Leute jubeln einem
zu. Muss, wenn man so was mag (ich nicht)
sicherlich eine schöne Erfahrung sein. Und
warum sollen nur Parteien mit Jubel lügen
dürfen? Unehrlicher Jubel steht niemandem zu,
also dürfen ihn ja wohl alle haben!
Oder
sollten wir uns womöglich mehr um Ehrlichkeit
bemühen? Ich würde ja sagen, ja, das
sollten wir, denn letztendlich ist Ehrlichkeit im
Zusammenleben die Grundlage für alles.
Aber das stimmt leider nicht. Assoziationen
schlagen alles andere - und man darf wohl
tatsächlich niemals mit einer Niederlage
assoziiert werden. Bekanntermaßen hängt
die Beliebtheit der deutschen Bundesregierung von
der Leistung des deutschen
Fußballnationalteams ab.
Tja,
vielleicht müssen wir uns alle bemühen,
von Zeit zu Zeit nachzudenken, wo unsere Ideen
eigentlich herkommen, ob sie richtig sind und ob
wir sie vielleicht - nur vielleicht - manchmal
überprüfen und an die Realität
anpassen sollten.
Anlässlich
der Wahlen folgt der Wahlbarometer
in Form einer Buchbesprechung von
Wolfgang.
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