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In
der vorherigen Ausgabe habe ich als
Buchtipp mal unsere eigenen Werke
erwähnt.
Konkret durch einen Text von Johannes
"Wenn
ich einer
wäre",
was mir eine Ausgangslage
darstellt.
Nun
setze ich mit einem Text - ebenfalls von
Johannes - fort, das mir eine Situation
darstellt, wenn sich an der Ausgangslage
nichts ändert, bzw. der
eingeschlagene Kurs fortgesetzt wird.
Dieser Text wurde bei der Veranstaltung
"Zeitgeschichte(n)"
gelesen und in den gleichnamigen Textband
aufgenommen.
Danach
folgt ein Buchtipp, welcher eine
Alternative zum Verbleiben in der
Ausgangssituation aufzeigen wird. Dies
wird auch in der kommenden Ausgabe
fortgesetzt, sodass dadurch eine Triologie
entsteht.
Doch
zunächst zur Erzählung des
zweiten Teiles:
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© Dr. Johannes
Klietmann
Die
Titanic hatte den Eisberg gerammt. Das heißt,
eigentlich nicht wirklich gerammt, sie war eher an
seiner Seite entlang geschrammt, wodurch sie mehr
beschädigt wurde, als es ein
Frontalzusammenstoß hätte schaffen
können.
Der
Kapitän reagierte sehr rasch und
überlegt: Zuallererst rief er alle Offiziere
auf der Brücke zu sich und verordnete
strengste Nachrichtensperre, um eine Panik auf dem
Schiff zu verhindern. Im Falle einer Panik
würden die Passagiere nur Dummheiten anstellen
und womöglich das Vertrauen in ihn, den
Kapitän, verlieren - und er dann seinen
Posten. Die Offiziere sahen es genauso, also
gelobten sie absolutes Stillschweigen. Der dritte
Offizier machte den Vorschlag, den Ruck zu
erklären.
Der
Kapitän wies also das Personal an, den
Passagieren mitzuteilen, dass der verspürte
Ruck auf eine Notbremsung zurückgehe, bei der
beinahe ein kleiner Eisberg gerammt worden
wäre.
Selbst, wenn er gerammt worden wäre, wäre
das natürlich auch keine Gefahr gewesen, aber
das Schiff war so vollständig intakt
geblieben. Die Kapelle wurde angewiesen, lauter zu
spielen.
Ein
Matrose kam aufgeregt angerannt und meldete, dass
ein Leck zu sehen sei. Ihm wurde erklärt, dass
er sich täusche. Dann wurde er in den
Maschinenraum versetzt und die anderen Matrosen
aufgefordert, sich unter Deck nützlich zu
machen und die Außenhaut, die heil geblieben
sei, nicht weiter zu beachten. Eine zweite Kapelle
wurde eingesetzt, außerdem sollte ein
Gratis-Dinner ausgegeben werden, als Entschuldigung
für den - selbstverständlich völlig
grundlosen - Schrecken vorhin.
Die
Titanic begann zu sinken. Aufgeregt kam der
Schiffskonstrukteur auf die Brücke und
verlangte, dass er den Schaden begutachten
dürfe.
Die Situation sei gefährlich, das Schiff drohe
zu sinken. Die Fahrt verändere sich bereits,
das sei absolut ernst zu nehmen.
Kapitän
und Offiziere waren in ihrer Ehre als Seeleute
gekränkt. Als ob sie es nicht wüssten,
wenn das Schiff sinkt!
Zunächst einmal musste verhindert werden, dass
das Gerede von dem Kerl Mannschaft und Passagiere
nervös machen konnte. Man meldete, dass die
Fahrt geändert werden müsse, um ab sofort
in noch größerer Sicherheit zu operieren
und Eisberge weit zu umfahren. Außerdem ist
die Titanic unsinkbar, wie allgemein bekannt sein
sollte. Der Konstrukteur wurde in seine Kabine
gesperrt und die Kapellen angewiesen, lauter zu
spielen.
Der
lästige Matrose kam wieder auf die Brücke
gerannt, dieses Mal in heller Panik. Es dauerte,
bis sie aus dem, was er so redete, klug wurden.
Wasser drang in das Schiff ein, die untersten Decks
würden schon bald unter Wasser stehen. Der
Querulant wurde in den Maschinenraum
zurückgeschickt und die Kapellen angewiesen,
lauter zu spielen. Das Wasser im Schiff sei bei dem
Bremsmanöver hereingeschwappt, gab man durch.
Die Pumpen würden das Problem schon bald
gelöst haben.
Eine
Weile herrschte Ruhe, und die Führungscrew des
Schiffes begann zu überlegen, was sie denn
wirklich unternehmen könne.
Aber dazu kam es nicht, denn jetzt kam der
Konstrukteur wieder daher. Es war ihm gelungen, aus
seiner Kabine auszubrechen und das Leck zu
begutachten. Er brüllte herum, dass die
Vorgehensweise verantwortungslos sei, dass das
Schiff bereits sinke und dass die Passagiere
schleunigst evakuiert gehörten. Längstens
zwei Stunden, so sagte er, werde das Schiff noch
schwimmen können. Die unteren Decks
stünden bald unter Wasser, das schon fast in
den Maschinenraum eingedrungen sei. Sobald es ihn
erreichte, gäbe es einen Kurzschluss, und das
ganze Schiff sei manövrierunfähig. Er
wurde in die Kabine zurückgebracht und dieses
Mal auch bewacht.
Den
Passagieren wurde mitgeteilt, man habe sie nicht
aufregen wollen. Tatsächlich sei bei einer -
geringfügigen - Kollision mit einem Eisberg
ein - winziges - Leck entstanden, aber die
Situation sei vollkommen unter Kontrolle, man habe
alles im Griff, es bestehe überhaupt gar keine
Gefahr und alle bekämen noch ein
Gratis-Getränk gegen den Schrecken. Die
Kapellen wurden angewiesen, lauter zu spielen. Sie
weigerten sich, da dies gar nicht mehr möglich
sei. Ihnen wurde eine Gehaltserhöhung
versprochen.
Der
Crew wurde mitgeteilt, dass die Situation ein wenig
ernster sei und man bestimmte Bereiche versiegeln
solle. Das Schiff könne jedenfalls weiterhin
fahren, aber man müsse eben aufpassen.
Sollten sie den Passagieren etwas sagen,
würden sie sofort gekündigt und
müssten auf ihr Geld verzichten.
Außerdem würden sie nie wieder irgendwo
eine Anstellung finden.
Der
widerwärtige Querulant von einem Matrosen kam
wieder daher, dieses Mal vollkommen
durchnässt, und berichtete, das Wasser dringe
bereits in den Maschinenraum ein.
Er wurde gefeuert und in der Krankenstation ruhig
gestellt wegen Hysterie. Der Konstrukteur sah, dass
es keine Hoffnung mehr gab und stürzte sich
ins Meer.
Den
Passagieren wurde mitgeteilt, dass sich die
Situation schon wieder bessere, aber kurzfristig
die Maschinen abgeschaltet werden müssten, um
gereinigt und wieder angeworfen zu werden; daher
könne kurz der Strom ausfallen. Man möge
sich doch bitte an Deck begeben. Eventuell
auftretende Feuchtigkeit komme von dem
eingedrungenen Wasser, das aber vollkommen unter
Kontrolle sei; ebenso sei die Sicherheit der
Passagiere vollständig gewährleistet,
dies gehe schließlich vor. Für die
Unbequemlichkeit würden die verehrten
Passagiere nach der Fahrt einen Teil des Preises
zurückerstattet bekommen. Lichtsignale, die
sie sehen würden, seien ein zur Ablenkung
während der kurzen Reparatur
durchgeführtes Feuerwerk.
Die Passagiere gingen an Deck - einige wunderten
sich, dass sie dabei durch kaltes Salzwasser gehen
mussten. Die Kapellen wurden angewiesen, aber das
wussten sie schon, also spielten sie gemeinsam so
laut es eben ging. Notsignale wurden abgefeuert.
Ein paar Störenfriede, die wussten, was diese
Signale bedeuteten, wurden zu einer gesonderten
Besprechung eingeladen, wo ihnen erklärt
wurde, dass man eine Panik um jeden Preis
verhindern müsse. Sie erklärten sich dazu
bereit, besonders, da man sie ansonsten eingeladen
hätte, sich im Maschinenraum selbst ein Bild
zu machen.
Ein
paar Matrosen beschwerten sich, dass das Schiff
sehr tief liege und außerdem zu kippen
beginne. Den Passagieren wurde erklärt, dies
liege daran, dass das Schiff besonders stabilisiert
werde, wodurch es nicht mehr in Gefahr laufe, zu
kippen, selbst bei höherem Wellengang nicht.
Die Kapelle bekam eine Lohnerhöhung. Die
Matrosen, die sich beschwert hatten, wurden
beauftragt, im Maschinenraum für Ordnung zu
sorgen und wegen Befehlsverweigerung
entlassen.
Die
Titanic begann zu kippen. Allmählich konnten
die Gerüchte nicht mehr unterdrückt
werden. Der lästige Matrose war aus der
Krankenstation entwischt und schrie nun
überall herum, man müsse evakuieren. Der
Kapitän musste ihn erschießen. Dann
wurde erklärt, dass man sich jetzt wieder
unter Deck zurückziehen könne, wo die
Kapelle noch ein letztes Lied spielen würde;
man solle danach einfach in der Halle bleiben und
abwarten, bis die Situation wieder unter Kontrolle
sei. Das könne nicht mehr lange
dauern.
Die
Passagiere, Matrosen und Musiker verzogen sich in
den großen Salon. Kapitän und Offiziere
kehrten zur Brücke zurück und besprachen
die Situation.
Die
Titanic sank. Niemand wurde gerettet.
Aber
eine Panik war erfolgreich verhindert
worden.
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