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G E R D ' s

E L E V E N T Y

P d M . 5 0

Oenomantie

Wort der Ausgabe

© unbekannt, spätestens im Mittelalter

 

Heute beginne ich (Johannes) einmal nicht damit, das Wort gleich zu erklären, sondern erst mal einen Teil davon, um die Spannung zu steigern.
Der springende Punkt (für Angeber: (das) punctum saliens) ist der hintere Teil, also die Mantie. Mantie oder eigentlich Mantik ist die Kunst der Zukunftsvorhersage.

 

Schon immer haben sich Menschen dafür interessiert, was die Zukunft bringen wird. Auch wir versuchen ja, die Zukunft zu planen, sei es nur kurzfristig (was muss ich jetzt einkaufen, damit ich etwas zu Mittag essen kann ?), über größere bis hin zur Karriere und so weiter und so fort. Diese Planbarkeit ist aber etwas, dass die Menschen im Mittelalter oder davor so nicht kannten. Sie konnten mehr oder weniger davon ausgehen, dass ihr Leben genauso weitergehen würde wie bisher, sofern nicht ein Krieg, die Pest, ein Unwetter, ein Raubüberfall oder vergleichbare Geschehnisse alles auf den Kopf stellten. Kurz gesagt: Ein Tag war wie der andere, außer die Welt fiel mal wieder in Trümmer. Außerdem waren die Naturwissenschaften damals weitgehend unbekannt - das heißt, dass vorrangig intuitive Konzepte der Welt existierten. Damit erschien die Welt bedrohlich, unberechenbar und willkürlich - aber auch lesbar, wenn man nur wusste, wie.

Die Idee der Zukunftsvorhersage beruht auf zwei Grundannahmen: Erstens der Idee, dass die Zukunft zumindest in ihren Grundzügen bereits festgelegt ist oder zumindest aus der Gegenwart vorherberechnet werden kann. Zweitens der Vorstellung der Analogie zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos, also der Meinung, dass Vorgänge im Inneren bzw. im Kleinen den Vorgängen im Äußeren bzw. im Großen entsprechen. Dann mussten, um als Beispiel die immer noch beliebte Astrologie zu verwenden, bestimmten Sternen bestimmte Vorstellungen zugeordnet werden, und schon konnten äußere Welt und innere Welt als analog betrachtet werden.

Es geht aber auch kreativer. Als die Mantik noch die einzige Methode war, von der eine Zukunftsvorhersage erhofft wurde, gab es viele Varianten. Hier ein paar besonders schöne (und z.T. absurd wirkende):

Die Kristallomantie ist die Vorhersage der Zukunft aus der Reflexion von Edelsteinen (wahrscheinlich galt: Steine bitte selbst mitbringen und nach Gebrauch dalassen). Die Onychomantie ist Kristallomantie für Arme: Hier wurde das Licht einfach auf den Fingernägeln reflektiert. Die Nephelomantie verwendet Bilder in den Wolken, die Lithomantie Kerzenlicht auf Edelsteinen (stelle ich mir sehr hübsch vor). Des Weiteren gab es die Katoptomantie (Bilder, die im Wasser oder im Spiegel entstehen), die Pyromantie (Bewegung von Opferfeuern), die Hydromantie (Bewegung von Quellwasser, in das Gegenstände geworfen wurden), die Keromantie (Figuren aus in Wasser gegossenem Wachs; Silvester lässt grüßen!) und die Lychnomantie (Flammen von Fackeln). Tiere wurden verwendet in der Felidomantie (Katzen), Hippomantie (Pferde), Ichthyomantie (Fische), Myomantie (Mäuse und Ratten), Ophiomantie (Schlangen), Ornithomantie (Vögel), Skapulomantie (Schulterblatt), Hepathoskopie (Leber). Dann hätten wir noch die Oneiromantie, die sich mit Träumen beschäftigt, die Chromniomantie (Zwiebelwachstum), die Ovomantie (Eiweiß in Wasser getropft), die Phyllorhodomantie, eine meiner Lieblingsideen (Geräusche, durch Schlagen von Rosenblättern gegen die Handfläche verursacht), die Lekantomantie (Klang von Becken oder Schalen) sowie die fast schon langweilige Chiromantie (Handlinien), die Gelomantie (hysterisches Gelächter), Chresmomantie (Stammeln einer Person in Ekstase), die Numerologie (Zahlen im Zusammenhang mit dem Ereignis), die Lage von Karten (Tarot) oder Schafgarbenstängeln (I Ging).

 

Wie an dieser Aufzählung ersichtlich, wurde nahezu alles ausprobiert, um eine Analogie zur eigenen Situation herzustellen. Dass z.B. Vögel ihr Flugverhalten eher an Wetterbedingungen und die Verfügbarkeit von Futter anpassen werden als daran, ob mich meine Schwiegermutter mögen wird, wurde natürlich nicht überlegt. Das Ergebnis der meisten Techniken würde man heute als rein zufällig bezeichnen. Im Falle von Bewegungen oder Bildern gleicht es dem berühmten Rorschach-Test - was in den Figuren gesehen wird, sagt viel über denjenigen aus, der hineinsieht, aber weniger über die äußere Welt.

Dass die beiden Grundvoraussetzungen auch falsch sein könnten, kam als Überlegung nicht vor. Das ist meiner Meinung nach der größte Haken an der intuitiven Erkenntnis der Welt: Man hat eine Idee, eine Vorstellung, eine Erkenntnis, die sich eben „richtig anfühlt“, und die wird dann als richtig in das Weltbild eingebaut und wird nicht mehr hinterfragt oder geprüft. Und wenn sie einer Überprüfung nicht standhält, schadet das auch nicht, denn immerhin fühlt sie sich richtig an - und das zählt im Zweifelsfall mehr als die Frage, ob sie tatsächlich richtig ist.

 

So, und jetzt die Auflösung für diejenigen, die bis hier durchgehalten haben - was soll jetzt Oenomantie sein?
Nun, Oenomantie ist meine Lieblingstechnik geworden, weil ich das Konzept mag. Sie ist nämlich die Vorhersage der Zukunft aus der Farbe und dem Geschmack von Rotwein.

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