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unbekannt, spätestens im
Mittelalter
Heute
beginne ich (Johannes) einmal nicht damit, das Wort
gleich zu erklären, sondern erst mal einen
Teil davon, um die Spannung zu steigern.
Der springende Punkt (für Angeber: (das)
punctum saliens) ist der hintere Teil, also die
Mantie. Mantie oder eigentlich Mantik ist die Kunst
der Zukunftsvorhersage.
Schon
immer haben sich Menschen dafür interessiert,
was die Zukunft bringen wird. Auch wir versuchen
ja, die Zukunft zu planen, sei es nur kurzfristig
(was muss ich jetzt einkaufen, damit ich etwas zu
Mittag essen kann ?), über größere
bis hin zur Karriere und so weiter und so fort.
Diese Planbarkeit ist aber etwas, dass die Menschen
im Mittelalter oder davor so nicht kannten. Sie
konnten mehr oder weniger davon ausgehen, dass ihr
Leben genauso weitergehen würde wie bisher,
sofern nicht ein Krieg, die Pest, ein Unwetter, ein
Raubüberfall oder vergleichbare Geschehnisse
alles auf den Kopf stellten. Kurz gesagt: Ein Tag
war wie der andere, außer die Welt fiel mal
wieder in Trümmer. Außerdem waren die
Naturwissenschaften damals weitgehend unbekannt -
das heißt, dass vorrangig intuitive Konzepte
der Welt existierten. Damit erschien die Welt
bedrohlich, unberechenbar und willkürlich -
aber auch lesbar, wenn man nur wusste,
wie.
Die
Idee der Zukunftsvorhersage beruht auf zwei
Grundannahmen: Erstens der Idee, dass die Zukunft
zumindest in ihren Grundzügen bereits
festgelegt ist oder zumindest aus der Gegenwart
vorherberechnet werden kann. Zweitens der
Vorstellung der Analogie zwischen Makrokosmos und
Mikrokosmos, also der Meinung, dass Vorgänge
im Inneren bzw. im Kleinen den Vorgängen im
Äußeren bzw. im Großen
entsprechen. Dann mussten, um als Beispiel die
immer noch beliebte Astrologie zu verwenden,
bestimmten Sternen bestimmte Vorstellungen
zugeordnet werden, und schon konnten
äußere Welt und innere Welt als analog
betrachtet werden.
Es
geht aber auch kreativer. Als die Mantik noch die
einzige Methode war, von der eine
Zukunftsvorhersage erhofft wurde, gab es viele
Varianten. Hier ein paar besonders schöne (und
z.T. absurd wirkende):
Die
Kristallomantie ist die Vorhersage der Zukunft aus
der Reflexion von Edelsteinen (wahrscheinlich galt:
Steine bitte selbst mitbringen und nach Gebrauch
dalassen). Die Onychomantie ist Kristallomantie
für Arme: Hier wurde das Licht einfach auf den
Fingernägeln reflektiert. Die Nephelomantie
verwendet Bilder in den Wolken, die Lithomantie
Kerzenlicht auf Edelsteinen (stelle ich mir sehr
hübsch vor). Des Weiteren gab es die
Katoptomantie (Bilder, die im Wasser oder im
Spiegel entstehen), die Pyromantie (Bewegung von
Opferfeuern), die Hydromantie (Bewegung von
Quellwasser, in das Gegenstände geworfen
wurden), die Keromantie (Figuren aus in Wasser
gegossenem Wachs; Silvester lässt
grüßen!) und die Lychnomantie (Flammen
von Fackeln). Tiere wurden verwendet in der
Felidomantie (Katzen), Hippomantie (Pferde),
Ichthyomantie (Fische), Myomantie (Mäuse und
Ratten), Ophiomantie (Schlangen), Ornithomantie
(Vögel), Skapulomantie (Schulterblatt),
Hepathoskopie (Leber). Dann hätten wir noch
die Oneiromantie, die sich mit Träumen
beschäftigt, die Chromniomantie
(Zwiebelwachstum), die Ovomantie (Eiweiß in
Wasser getropft), die Phyllorhodomantie, eine
meiner Lieblingsideen (Geräusche, durch
Schlagen von Rosenblättern gegen die
Handfläche verursacht), die Lekantomantie
(Klang von Becken oder Schalen) sowie die fast
schon langweilige Chiromantie (Handlinien), die
Gelomantie (hysterisches Gelächter),
Chresmomantie (Stammeln einer Person in Ekstase),
die Numerologie (Zahlen im Zusammenhang mit dem
Ereignis), die Lage von Karten (Tarot) oder
Schafgarbenstängeln (I Ging).
Wie
an dieser Aufzählung ersichtlich, wurde nahezu
alles ausprobiert, um eine Analogie zur eigenen
Situation herzustellen. Dass z.B. Vögel ihr
Flugverhalten eher an Wetterbedingungen und die
Verfügbarkeit von Futter anpassen werden als
daran, ob mich meine Schwiegermutter mögen
wird, wurde natürlich nicht überlegt. Das
Ergebnis der meisten Techniken würde man heute
als rein zufällig bezeichnen. Im Falle von
Bewegungen oder Bildern gleicht es dem
berühmten Rorschach-Test - was in den Figuren
gesehen wird, sagt viel über denjenigen aus,
der hineinsieht, aber weniger über die
äußere Welt.
Dass
die beiden Grundvoraussetzungen auch falsch sein
könnten, kam als Überlegung nicht vor.
Das ist meiner Meinung nach der größte
Haken an der intuitiven Erkenntnis der Welt: Man
hat eine Idee, eine Vorstellung, eine Erkenntnis,
die sich eben richtig anfühlt, und
die wird dann als richtig in das Weltbild eingebaut
und wird nicht mehr hinterfragt oder geprüft.
Und wenn sie einer Überprüfung nicht
standhält, schadet das auch nicht, denn
immerhin fühlt sie sich richtig an - und das
zählt im Zweifelsfall mehr als die Frage, ob
sie tatsächlich richtig ist.
So,
und jetzt die Auflösung für diejenigen,
die bis hier durchgehalten haben - was soll jetzt
Oenomantie sein?
Nun, Oenomantie ist meine Lieblingstechnik
geworden, weil ich das Konzept mag. Sie ist
nämlich die Vorhersage der Zukunft aus der
Farbe und dem Geschmack von Rotwein.
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