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Zu
der Zeit als Thomas diesen Buchtipp
eingebracht hat, haben wir (Thomas,
Evamaria, Johannes und ich) uns gerade in
der dritten Geschichte unserer Völker
befunden. Der Anstoß zur dritten
Geschichte ist auf Vorschlag von mir
gekommen, worin es auch um einen drohenden
Untergang einer kleinen Kultur und der
natürlichen Landschaften mit ihr
geht; die Frage innewohnend, wie denn die
Völker mit dem wahrlich
aufgetauchtem
Handlungsbedarf umgehen. Da passt dieser
Buchtipp von Thomas gut dazu
...
Im
Rahmen unserer Themen zu Politik,
Wirtschaftslage und Globalisierung im
Hinblick auch auf die Frage der
Regionalität habe ich (Thomas) meinen
aktuellen Buchtipp
ausgewählt.
Jared
Diamonds Buch "Kollaps: Warum
Gesellschaften überleben oder
untergehen" beschreibt zahlreiche
Gesellschaften der Geschichte, die
untergegangen sind; er untersucht darin,
warum dies passiert ist. Neben allgemeinen
Thesen zur Thematik stellt er auch einige
Beispiele wie die der Osterinseln oder des
Römischen Reichs vor. Dabei zeigt er
Gründe auf, warum es zum
Zusammenbruch kam und gibt Hinweise auf
Parallelen zur momentanen globalen
Lage.
Zunächst
benennt er fünf Faktoren, die beim
Untergang einer Gesellschaft eine Rolle
spielen können. Erstens Schäden,
die der Umwelt unabsichtlich zugefügt
werden. Als Zweites hebt Diamond
Klimaveränderungen hervor. Weiterhin
können feindliche Nachbarn ein Faktor
der Zerstörung sein. Viertens: Die
Hilfe freundlicher Nachbarn nimmt ab. Die
fünfte und laut Diamond wichtigste
Frage lautet jedoch: Wie reagiert eine
Gesellschaft auf ihre Probleme?
Keiner
der fünf Faktoren dürfte
für sich genommen zum Untergang
führen, vielfach wirken sie in
Kombination. Der fünfte Faktor aber,
also wie man ökologischen und anderen
Problemen begegnet, ist laut Diamond
besonders bedeutsam. Eines der
Kernprobleme früherer Gesellschaften
war, dass die damalige Elite das
Gefühl hatte, von den Konsequenzen
ihrer Handlungen nicht betroffen zu sein.
Spätestens hier ist der Moment, der
den Leser hellhörig machen sollte,
!?
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Wesentliche
dieser Punkte hält er auch für den
Zusammenbruch der südlichen Maya-Reiche
verantwortlich (freundliche Handelspartner hatten
die Maya zwar, bezogen aber nur Luxusgüter von
ihnen). Nachdem 1839 die verlassenen
Maya-Städte von John Stephens und Frederick
Catherwood, der eine Anwalt der andere Zeichner,
wieder entdeckt wurden, setzte eine umfangreiche
Untersuchung über das Rätsel, warum die
Maya im regenreichen Süden verschwanden und im
trockeneren Norden überlebten, ein.
Diamond
schlägt eine ebenso detaillierte wie
komplizierte Lösung vor:
Von Norden nach Süden gehend, aber mit
ansteigendem karstigen
Oberflächengelände, verzeichnet
Yucatán mehr Regenschläge, die
insgesamt sehr unregelmäßig über
ein Kalenderjahr verteilt zu Boden gehen. Damit
geht ein Absinken des Grundwasserspiegels von Nord
nach Süd einher. Die ökologischen
Verhältnisse prädestinieren den
proteinarmen Mais als Primärnahrungsquelle,
der auf Grund von klimatischen Verhältnissen
auf Yucatán eine geringe
Anbauproduktivität aufweist und zudem aufgrund
der Luftfeuchtigkeit nur höchstens ein Jahr
lagerungsfähig ist. Auch tierische Proteine
sind auf Grund der ökologischen Gegebenheit
nicht in ausreichenden Mengen vorhanden.
Nachdem die Maya die fruchtbaren Täler
besiedelt hatten und die Landwirtschaft durch
kürzere Brachzeiten und doppelte Ernten an
ihre Grenzen führten, besiedelte das Volk auch
die umliegenden Berghänge. Rodung und
anschließende Erosion ließen die
Hänge jedoch für die Landwirtschaft
unbrauchbar werden. Durch den Regen gelang der nun
saure Gebirgsboden in die Talsohlen und führte
so zum Absinken der landwirtschaftlichen
Produktivität, die ihrerseits aber eine
ansteigende Bevölkerungszahl hinreichend
ernähren sollte.
Nach Diamond hängt das Scheitern von
Gesellschaften an ihren Umweltproblemen seinerseits
an vier unscharfen Kategorien: mangelnde
Voraussicht eines grundlegenden Umweltproblems,
mangelnde Wahrnehmung eines bereits existenten
Problems, rational negatives Verhalten
gegenüber einem erkannten Problem (Maya) und
viertens eine falsche Lösung des Problems. Als
in den Jahren 750-950 n. Chr. immer längere
und trockenere Dürreperioden den Süden
heimsuchten, kam es zu Kriegen zwischen den
einzelnen Königen und Adligen sowie
Aufständen und Bürgerkriegen innerhalb
verschiedener Reiche. So brachen nacheinander immer
mehr Städte und Reiche zusammen, bis
schließlich 99% der Bevölkerung
gestorben waren.
Im
zweiten umfangreichen Bericht blickt Diamond auf
Entwicklungen in Grönland. Im Mittelalter
besiedeln und teilen sich zwei Gesellschaften
dieselbe Insel. Die Norweger, sprich: Wikinger,
können nach Jahren der Blüte nicht
überleben und müssen ihre
Wohnstätten verlassen. Die Inuit hingegen sind
in der Lage, auf die Herausforderungen des
Klimawechsels angemessen zu reagieren. Sie leben
nach wie vor in ihren angestammten
Jagdgebieten.
Auf
der Osterinsel führt die komplizierte Logistik
zur Produktion und Aufrichtung der Steinfiguren im
17. Jahrhundert letztlich zur Selbstzerstörung
einer ganzen Kultur. Um die Giganten aus Stein zu
transportieren, benötigt man neben mehr
Nahrungsmitteln vor allem Unmengen von Holz -
für Seile, Schlitten, Leitern usw. Der Raubbau
am Wald erzeugt nicht nur Bodenerosion.
Den
Bewohnern der Osterinsel fehlt die Fähigkeit,
die Folgen ihres Tuns abzuschätzen und
entsprechend zu reagieren. Die Menschen verhungern.
Eine Kultur geht unter. Kein Einzelfall.
Letztes
Beispiel: Die jüngsten Meldungen über
Umweltprobleme in China, über Giftmüll im
Flusswasser, beängstigen. China, der
erwachende Riese, ist in Diamonds Augen ein
torkelnder Riese. Neben wirtschaftlichem Wachstum
von ungeheurem Auswuchs produziert das Land ein
Unmaß an Umweltzerstörung. Wie kein
anderes Land dieser Erde trägt China zur Luft-
und Wasserverschmutzung und auch zur
Wüstenbildung bei. All die ökologischen
Probleme, die in der Vergangenheit zum Untergang
einer Kultur führten, sind im Reich der Mitte
bereits gegeben und nehmen täglich zu. Wird
China diese Probleme bewältigen, das
ökonomische Wachstum ökologisch gestalten
können? Oder wird das Land den ganzen Planeten
nach und nach mit in den Abgrund
reißen?
Jared
Diamonds Buch skizziert keineswegs ein
Schreckensszenario ohne Auswege, dazu ist der
Geografieprofessor aus Kalifornien zu sehr Realist
und auch Optimist.
Doch
welcher Teufel steckt im Detail? Was bestimmte die
Geschichte der Wikinger auf Grönland? Was
wurde den Anasazi in Kalifornien zum
Verhängnis, was den Maya auf Yucatán?
Warum blieben von einst mächtigen Nationen nur
verlassene Siedlungen in der Davis-Straße
oder vom Dschungel überwucherte Tempel?
"Kollaps"
stellt den Menschen als Akteur in den Mittelpunkt,
der als handelndes Wesen Lehren aus der
Vergangenheit ziehen und so dem fast
unausweichlichen Zusammenbruch der menschlichen
Zivilisation entgehen kann. Pessimismus und
Hoffnung fungieren durch das gesamte Buch hinweg
als Leitmotive. Pessimismus alleine ließe
sich aber auch nicht mehr verkaufen.
Diamond
begnügt sich nicht mit dem Aufbereiten von
Vergangenem, sondern hat auch den Ehrgeiz, Aussagen
zum heutigen Zustand von Gesellschaften zu treffen.
So sehr seine Betrachtungen zu älteren
Gesellschaften als scharfsinnige Analysen in
Kontrast zu bisher geltenden Theorien
geschätzt werden, so deutlich müssen
seine Spekulationen über heutige
Verhältnisse als etwas naiv bezeichnet werden.
Fangen historische Erklärungen oft mit
Hinweisen auf Arbeiten Dritter an, so setzen
Diamonds Betrachtungen zu heutigen
ökologischen Problemen oft mit "Wie mir meine
Freunde erzählten..." oder "Ich habe
gehört, dass..." ein. Aber die Stützung
auf Aussagen seiner umweltbewussten Freunde, die
als Umweltschützer bei Chevron-Texaco
natürlich in jenen Bereichen arbeiten, wo
ökologische Bewirtschaftung ökonomisch
erfolgreich ist, verzerrt sein Realitätsbild
in mancher Hinsicht. So wird dann auch Chevron als
das umweltfreundliche Unternehmen gepriesen, dessen
Vorbild anderen Konzernen ein Stern am
umweltsündigen Himmel sein sollte, ist der
Ölgigant doch verantwortlich für die
außerordentlich lobenswerte Einrichtung eines
Naturschutzreservates, um das von ihm
bewirtschaftete Gebiet auf Papua-Neuguinea herum.
Zwar wird der Graben zwischen authentischem
Umweltbewusstsein und schlichtem wirtschaftlichen
Handeln beschrieben, aber nicht wirklich erkannt
und auf die gesellschaftlich wirtschaftliche Ebene
reflektiert. Dass Chevron schon lange mit
großen Umweltskandalen in Verbindung gebracht
wird, scheint an Diamond vorbei gegangen zu sein.
So z.B. die Zwischenfälle in Escravos und all
den anderen Orten im Niger Delta, wo Chevrons
Sicherheitsdienst sogar mit militärischen
Mitteln gegen Einwohner geschädigter
ökologischer Gebiete vorgeht. Ebenso
übersehen wird Bianca Jagger, die immerhin den
Alternativen Nobelpreis 2004 u.a. aufgrund ihres
Kampfes gegen Chevrons Umweltpraktiken im
ecuadorianischen Regenwald erhielt.
Jared
Diamond, Vorstandsmitglied im World Wildlife Fund
tritt aber weder als weltfremder Sektierer noch als
geschäftsmäßiger Apokalyptiker auf.
Er beschreibt die Entwicklungen, Probleme und
Herausforderungen "aus der Sicht eines mittleren
Standpunkts" - vor der Folie seiner Erfahrungen mit
ökologischen Problemen ebenso wie angesichts
der wirtschaftlichen Realität. Darüber
hinaus kommen weitere Interessenkonflikte in den
Blick, legt Diamond doch auch Ziele und Werte
offen, an denen sich Gesellschaften orientieren und
festhalten, manchmal zu lange - bis zum finalen
Kollaps.
Jared
Diamond, 1938 in Boston geboren, ist Professor
für Geographie an der Universität von
Kalifornien in Los Angeles. Für seine Arbeit
auf dem Feld der Anthropologie und Genetik ist
Jared Diamond vielfach ausgezeichnet worden. 1994
erschien bei S. Fischer "Der dritte Schimpanse",
1998 sein internationaler Millionenbestseller "Arm
und Reich. Die Schicksale menschlicher
Gesellschaften", für den Jared Diamond den
Pulitzer-Preis erhielt.
Sein
Buch "Kollaps" ist im Dezember 2005 im S. Fischer
Verlag erschienen und inzwischen als Taschenbuch
(2011) unter der ISBN 978-3-596-19258-8 um 11,30
Euro im Buchhandel erhältlich.
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