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G E R D ' s

E L E V E N T Y

H I M M E L S W U R Z

Leserbrief

von Lisi, einer Freundin unserer Familie Steiner in Wien, zum Artikel "Das Geschäft mit den Wehrdienstverweigerern" aus der vorherigen Ausgabe, sowie dessen Behandlung im Wiener Hauskreistreffen.

 

Die wenigsten wissen, dass Österreich am 26.2.1995 der "NATO-Partnerschaft für den Frieden" beigetreten ist und über die EU im Jahr 2003 NATO-Partner geworden ist. Zwischen NATO und EU gibt es, seit 2003 vertraglich vereinbart, eine „strategische Partnerschaft“ als Grundlage für die gemeinsame Sicherheit. Die Vereinbarung erlaube der EU den Rückgriff auf NATO-Mittel und -Kapazitäten, um eine militärische Operation durchzuführen. (Quelle Margaretha Kopeinig: NATO und EU sind ein Zwillingspaar. In: Tageszeitung Kurier, Wien, 3. April 2009, S. 7; wörtlich zitiert wird Brigadier Walter Feichtinger.)

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Josef Pröll (ÖVP) gaben am 1.3.2011 nach dem Ministerrat die neue Sicherheitsdoktrin für Österreich bekannt. Die österreichische Bundesregierung will weiterhin österreichische Soldaten als Teil der EU-Kampftruppen ("EU-Battletroops") einsetzen, was das Bekenntnis zur Neutralität Österreichs gleich wieder ad absurdum führt.

Mit EUFOR (von engl. European Union Force) werden zeitlich befristete multinationale Militärverbände der Europäischen Union bezeichnet, die im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) eingesetzt werden. EUFOR-Truppen sind aber nicht nur in der EU, sondern auch im Bosnien-Herzogowina, Tschad, Kongo und am Horn von Afrika im Einsatz.

 

Was für viele Österreicher vom Bauch her also nicht ganz in Ordnung war, hätte tatsächlich einen sehr bösen versteckten Haken gehabt.

Wir Bürger sind seit dem EU Beitritt, welchen die damalige Regierung mit allen Mitteln durchbringen wollte, wenn es hätte sein müssen, auch mit mehreren Abstimmungen (wurde damals sogar öffentlich von höheren Politikern angesprochen) bewusst getäuscht worden.

Schon vor dieser Volksentscheidung musste bereits mit Inkrafttreten des Maastrichtvertrages, den der herkömmliche Bürger in seinem vollen Umfang gar nicht verstehen kann, unsere Neutralität neu definiert werden.

Was damals anfing, setzte sich mit dem Beitritt zur EU fort, unsere Neutralität, welche wir meinen zu haben, wurde uns also schon in mehreren kleinen Schritten systematisch dahingehend verändert, Österreich für die vollständige Aufnahme in die NATO vorzubereiten.

In offiziellen (politischen) Kreisen wird aber darüber nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen, da man "das Bauchgefühl" der Österreicher bezüglich seiner Neutralität kennt und nicht unterschätzt.

So wurde der Bürger bewusst getäuscht, als ihm bei der Wahl zwischen dem Wehrdienst und einem Berufsheer die Floskel "die Neutralität bleibt bestehen" versprochen wurde, was man leicht versprechen kann, wenn bereits so viel verändert wurde!

Aber wir erinnern uns vor der EU-Wahl anno dazumal:

Der Schilling bleibt!

Aha. Naja.

Hat ja auch nicht so gestimmt, nicht wahr?

Fakt aber ist, man will auch Österreich vollständig in der NATO sehen, um das ist es bei der letzten Abstimmung gegangen, denn mit der Bereitschaft, ein Berufsheer zu besitzen und die Wehrpflicht abzuschaffen, legitimiert durch "das Volk", wäre der Weg frei geworden. (Vergleiche dazu Neutralitätsgesetz)

 

Bedenkt das bitte, wenn es in den nächsten Jahren zu einem immer wiederkehrenden Ereignis wird, denn die Weichen für eine weitere Volksbefragung (wenn sie uns nicht damit einfach überrennen) sind für 2015 bereits gestellt, nach dem Motto, wir lassen so lange abstimmen, bis das Ergebnis das für uns Richtige ist.

Aber wem nützt es, wenn das kleine, unscheinbare Österreich auch noch bei der NATO ist ? Das ist eine gute Frage, denke ich, über die es nach zu denken lohnt.

 

Und auch wenn wir ein Berufsheer hätten, garantiert das übrigens im Ernstfall nicht, dass Markus und Tobias nicht doch ins Kriegsgetümmel müssten,allerdings dann ganz offiziell auch z. B. für die Franzosen nach Afrika, weil sie dort noch was "zu klären" haben.

 

Was den Zivildienst betrifft:

Es mag durchaus stimmen, dass hier ein "Geschäft" mit den Zivildienern gemacht wird, zumindest sparen sich viele Organisationen, welche ja nicht immer der öffentlichen Hand zuzuordnen sind, Arbeitskräfte.

Du darfst dabei aber nicht übersehen, dass hier die "Wirtschaftlichkeit" mit dem Überleben dieser meist im ländlichen Raum angesiedelten Organisationen zu tun hat, was letztlich der Allgemeinheit zugute kommt, da wir gerade in Österreich mit kompetenten und flächendeckenden, aber auch leistbaren Einsätzen verwöhnt sind.

 

Das Einzige, was mich tatsächlich stört, ist die nicht nachvollziehbare "Auslese" der Tauglichen und Nichttauglichen, der Ungleichbehandlung in der Dauer von Zivildienst und Wehrpflicht und letztlich der Ungleichbehandlung von Mann und Frau, da ich nicht einsehe, warum es hier nur die männliche Jugend betrifft.

 

Du gehst hier auch zuviel von den städtischen Gebieten aus, ich habe durch meine Arbeit in St. Pölten den Einblick gewonnen, dass gerade dort der Zivildienst als Sprung ins Arbeitsleben gesehen wird, und viele berichteten mir von "gestrandeten Existenzen", welche durch diese "Zwangsbeglückung" wieder Boden unter den Füßen gewonnen haben.

Welche Alternativen werden dann stattdessen angeboten?

Ausserdem sollten wir nicht vergessen, dass wir in Österreich in einem stark sozial geprägten Umfeld leben und es gerade für junge Menschen ein neuer und oft entscheidender Blickwinkel ist, den sie sonst wohl nie erfahren würden, welcher aber in diesem Land ein wichtiger Faktor ist.

 

Diese Punkte zusammen genommen machten mein Bauchgefühl und auch das von Philipp und einer ganzer Menge andere Menschen, die ich gut kenne, aus, um mich gegen ein Berufsheer und für Bundesheer und Zivildienst für Österreich entschieden zu haben. Ich verstehe und respektiere die Meinung Anderer, und ich gehe auch nicht automatisch davon aus, dass die Mehrheit automatisch das Richtige wiederspiegelt, daher versuche ich mir auch immer in solchen Fällen eine breite Informationsbasis zu schaffen. Trotzdem oder gerade deswegen hoffe ich, dass auch von Deiner/Eurer Seite her der Blick für andere Winkel offen ist und bleibt.

 *

Soweit der Leserbrief von Lisi mit lieben Grüßen an die Redaktion und an meine Familie.
Darauf hin haben wir uns in unserem Wiener Hauskreis, bei welchen auch die Margit teilgenommen hat, mit ihr zusammen gesetzt und über folgende Punkte diskutiert:

Unterschiedliche Stufen der Partizipation:
Zum einen gibt es (junge) Leute, denen es nicht unangenehm ist, gesagt zu bekommen, was zu tun ist, sie brauchen das, - und zum anderen gibt es wieder einige, für welche jene acht Monate (in Summe) im Heer oder als Zivildiener eine "verlorene Zeit" ist. Für Menschen, welche bereits eine Orientierung haben und genau wissen, was sie wollen, wird die Naturalsteuer als Zwang und nicht als Hilfe zur Orientierung empfunden. In diesem Zusammenhang darf auf die mittlerweile alljährliche und gut besuchte Bildungsmesse "BeSt" (Beruf, Studium, Weiterbildung) in der Wiener Stadthalle (heuer zwischen 7. und 10. März) hingewiesen werden.

Die Verteilung der Waffen:
Während bei einem Berufsheer sich die nur auf jene, welche freiwillig dorthin möchte beschränkt (wie etwa Waffennarren oder Söldner und so), sei diese bei einem Milizheer "demokratischer" verteilt. Würde, wie beispielsweise beim "arabischen Frühling" in Syrien oder in Lybien, das Heer gegen das eigene verzweifelte Volk eingesetzt, so würden die Präsenzdiener nicht auf die eigene Familien, Verwandten und andere Nahestehenden schießen. Mit einem Anteil von über der Hälfte der Soldaten durch die Präsenzdiener, wie in den kommenden Jahren erwartet wird, sinke die Wahrscheinlichkeit für einen Militärputsch oder für eine Dominanz des Militärs wie etwa in der Türkei. Die Möglichkeit einer Abschaffung des Heeres, in Verbindung mit einem Zivildienst, statt dem Präsenzdienst als Pflicht, ist jedoch nicht andiskutiert worden.

Die Frage nach der österreichischen Identität:
Seit dem Ende der Monarchie vor fast hundert Jahren ist Stück für Stück "Österreich" in eine globalisierte und verwässerte Über-Regionalität verloren gegangen. Das Festhalten an der Wehrpflicht erscheint als ein Festhalten an ein letztes Stück "Österreich", mitunter auf Kosten der jungen Generation. Vielen ist vieles nicht benennbar und wird aber sehr wohl auf anderer Ebene - eben emotional - verstanden. Botschaften auf der Verstandesebene kommen mitunter auf der Gefühlsebene an, und da kann es vorkommen, dass man mit bestimmten Reaktionen und Antworten nicht gerechnet hat. Umsomehr bedarf es einer sozialen Atmosphäre, welche mit Aprilwetter umzugehen vermag ...

Die Betroffenen:
Interessant zu beobachten war jedoch, dass sich zur Volksbefragung zwar einige politische Parteien zu Wahlkampfzwecken, aber keine Jugend- und Studentenorganisationen und auch keine kirchlichen Einrichtungen vernehmbar zu Wort gemeldet haben. Offensichtlich wird wohl das o.a. "... mitunter auf Kosten der jungen Generation" von den Betroffenen gar nicht so erlebt ... Sechs Monate Vollrausch gehen vorbei, die steckt man weg, denn man bekommt eh' nichts mit ... In der EHG Wien etwa ist die Fragestellung nach einem Berufsheer statt der Wehrpflicht nie ein Thema gewesen. Der in den Wiener Gratiszeitungen kolportierte Generationen-Konflikt kann nicht nachvollzogen werden. Unsere Kinder werden wohl ihren eigenen Weg gehen müssen, und der kann freilich von den eigenen Überzeugungen abweichen ... Wir werden sehen ! Betreffend der Generationen hat uns
Thomas wieder einen Buchtipp mitgebracht.

Diktaturen leben von der Qualität der Gewinner, und so manche Kollegen aus unserer beruflichen Umgebung werden das bestätigen können. Die Demokratie hingegen lebt von der Qualität der Verlierer.

Beiträge welche bereits im Artikel oder im Leserbrief kundgetane Meinungen wiederholen, sind zur deren Erläuterung auch behandelt worden. Unserer Redaktion geht es darum, dass die unterschiedlichen Ansichten und Zugänge einander nachvollziehbarer werden und dass ein Verständnis für die jeweils andere Ansicht erwächst. Uns interessiert ein entspannter Gedankenaustausch mit dem "Warum" dahinter, weil uns dort Begegnungen eher möglich werden, als bei einem Anspruch bloß Recht zu haben. Denn aus jenem Anspruch erwachsen Automatismen, welche sich nachteilig auf die Handlungsfähigkeit auswirken. Wenn die Bereitschaft zur Objektivität verlorengeht, boykottieren jeweils die Einen Überlegungen und Einfälle der Anderen, weil "die Anderen" bloß nur "die Anderen" sind und nicht den eigenen Reihen angehören.

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