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G E R D ' s

E L E V E N T Y

E R G R E I F E N . 1 1 / 1 2

Thomas Buchtipp

Mit beeindruckender Detailkenntnis leuchtet Makanin in die Lebenswelt des Tschetschenien-Konflikts und schildert dabei ein Dilemma, das keine Lösung zu haben scheint.
Wer einen Roman zum russisch-kaukasischen Konflikt an der Jahrtausendwende sucht, kommt an Makanins "Benzinkönig" kaum vorbei...

Es fehlt nicht an Grausamkeiten in Makanins Roman. Und doch konzentriert er sich stärker auf den Alltag dieses Krieges ohne Front, auf die mühsam organisierte und immer wieder durchbrochene Balance zwischen den Parteien. "Business" ist ein zentrales Wort in der Weltsicht der Hauptfigur, Major Schilin, der als Chef eines Versorgungsstützpunktes insbesondere für den Treibstoffnachschub für die in Tschetschenien stationierten russischen Truppen zuständig ist.
Der "faule" Krieg hat die Moral der russischen Offiziere und Soldaten so zerstört, dass sie sich alle abgesetzt haben. Zurück bleibt Major Schilin, der allein die Benzinlager beaufsichtigen muss. Er wird zum geachteten "Benzinkönig", denn durch den Handel errichtet er eine ordnende Instanz mitten im Chaos des Krieges. Schilin weiß: Es gibt keine Regeln in diesem Krieg, außer einem Gesetz der Gesetze: "Schuldest du Geld ? Dann gib es her."

Jedes zehnte Fass der Lieferungen zweigt er für sich ab, und gewiss fließt ein Teil des damit erzielten Geldes in seine eigene Tasche, um für sich und seine kleine Familie ein Haus irgendwo in Russland bauen zu können.

Dieser abgezweigte Treibstoff wird aber auch als Verhandlungs- und Manövriermasse gebraucht, um den im Prinzip prorussischen Bauern der Gegend etwas davon zu geben, damit sie ihre Feldarbeiten verrichten können. Ebenso dient er als Lockmittel oder Bezahlung für die berüchtigten tschetschenischen Feldkommandeure, die bei Aussichten auf Sprit mit sich verhandeln lassen. Nicht zuletzt kann er für Sonderzuteilungen an die russischen Hubschrauberstaffeln verwendet werden, sollten solche Verhandlungen zu keinem Erfolg führen. Dieser auf den ersten Blick nur korrupte Major agiert als ein Chaos-Dämpfer in einer chaotischen Welt. Und doch wird am Ende auch Schilin zum Opfer sinnloser Gewalt.

Seine Rolle zeigt gut, dass sich in einer perversen Welt, wie der des Krieges, Gut und Böse nicht eindeutig definieren lassen.

Wladimir Makanin, geboren am 13. März 1937 in Orsk hat Gedichte, Romane und Erzählungen veröffentlicht. Bis 1965 war er Mathematiker und Filmemacher. Danach absolvierte er Kurse zum Drehbuchautor und arbeitete als Lektor im Verlag Sowjetski pissatel (Der Sowjet-Schriftsteller). Seit dem Ende der 1960er-Jahre lebt und arbeitet Makanin als freischaffender Schriftsteller in der Sowjetunion, später Russland. Er gehört zu der sogenannten "Moskauer Schule", die sich durch eine nüchterne Darstellung des grotesken alltäglichen Lebens und ihrer psychischen Folgen scharf von der offiziellen sowjetischen Kunstdoktrin des Sozialistischen Realismus abgrenzt.

Er erhielt für sein Werk 1993 den Russischen Booker-Preis, 1998 den Puschkin-Preis für sein Gesamtwerk, 1999 den russischen Staatspreis und 2001 den italienischen Penne-Preis.
Seine in Deutsch erschienenen Werke beschreiben das Panorama der russischen Gesellschaft im Umbruch nach dem Ende der Sowjetunion.

 

Wladimir Makanin, Der Benzinkönig ist am 3. Mai 2011 im Luchterhand Literaturverlag, München erschienen,
umfasst 480 Seiten und ist unter der ISBN 9783630873183 um EUR 23,70 im österreichischen Buchhandel erhältlich.

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