Im
Sinne des anfangs angeführtem Vermitteln aus
Verständnis, das mir für einen
österreichischen Charakter am stimmigsten
erscheint, haben wir uns in den letzten Jahren mit
den drei abrahamitischen Religionen, insbesondere
mit dem Islam, beschäftigt. Dies auch durch
den Erfahrungshintergrund von
"Mach
einen Schild aus Wissen, denn es gibt nichts, was
dich besser schützt vor Leid und Kummer.
Der Mensch, der einen solchen Wissensschild
besitzt, der wird nicht leiden unter
Schicksalsschlägen !
Nasir-i
Chusrau
In
Grün kommt also die Ansicht von Hamid Dabashi
- ein iranisch-amerikanischer Intellektueller,
welcher zu den renommiertesten Islam-Experten
zählt.
In Blau, wie die Texte der Artikel sonst, kommen
unsere Betrachtungen dazu.
Historisch
gesehen ist der Anteil arabisch-muslimischer
Einwanderung in die USA minimal, geradezu winzig im
Vergleich zu anderen Gruppen. Außerdem kommen
arabische Muslime aus wirtschaftlichen Gründen
in die Vereinigten Staaten. Das Kapital ist meiner
Meinung nach farbenblind und geschlechtsneutral.
Die Geschichte feministischer Bewegungen ist in der
ganzen Welt mit dem Bedarf nach billigen
Arbeitskräften verbunden. Wenn Frauen dann auf
den Arbeitsmarkt kommen, fordern sie natürlich
auch mehr gesellschaftliche Rechte. Genau das
gleiche trifft auf Migranten zu: Sie sind die
billigeren Arbeitskräfte. Wenn du also als
Libanese, Sudanese, Türke, Iraner oder
Pakistani nach Amerika kommst und Arbeit suchst,
hat das absolut nichts mit deiner Religion zu tun
!
Auf
Grund geografischer Gegebenheiten und der extrem
viel strengeren Selektion, wer aufgenommen werden
darf, existiert in der USA weniger und eine
vorselektierte Migration von Muslimen. Europa ist
zum arabischen Raum einfach der nächstgelegene
Kontinent, und außerdem hat der Islam die
Geschichte Europas mitgeprägt, als es noch gar
keine USA gegeben hat.
Des weiteren hat sich in den USA genau dies
ereignet was in den Augen vieler Österreicher
ein Horror-Szenario ist: Quasi die ganze
Bevölkerung besteht aus Migranten, die die
ursprünglichen Völker nahezu ausgerottet
und die Überlebenden davon in Reservate
gesperrt hat. Dazu unterschiedlich ist freilich,
dass die Einheimischen Amerikas nicht um
Gastarbeiter gebeten haben, was unsere Wirtschaft
vor gut vierzig Jahren sehr wohl getan hat
!
Die
historische Idee Europas ist ohnehin auf Westeuropa
beschränkt. Das Unbehagen Europas mit den
Muslimen, die aus Afrika, dem Nahen Osten oder aus
Südasien kommen, ist ein historisches Echo
seiner Angst vor Europas Osten. Zudem haben wir
hier ein Problem, das seit der Rivalität von
Österreich-Ungarn mit dem Osmanischen Reich um
imperiale Hegemonie besteht - die europäische
Angst vor einem islamischen Europa. Aus all diesen
Gründen fällt es Europa schwerer, seine
Muslime aufzunehmen als den USA.
Europa
hat, wie oben erwähnt, genau davor Angst, was
den Ur-Amerikanern einst passiert ist.
Offensichtlich stellt dies einen blinden Fleck im
Bewusstsein der US-Amerikaner dar.
Umgekehrt scheint der Umstand, dass wir einst um
die Einwanderer gebeten haben (und es praktisch
heute noch tun), ein blinder Fleck in
unserem
Gedächtnis zu sein.
Europa
ist aufgrund seines Wohlstandes ein alternder
Kontinent. Deswegen braucht Europa
Arbeitskräfte - je billiger, desto besser;
das
ist die Logik des
Kapitals.
Diese Arbeitskräfte führen allerdings
ihre eigene Kultur im Gepäck. Die
europäische Wirtschaft braucht billige
Arbeitskraft, aber die europäische Kultur kann
sich nicht damit abfinden, dass sie letzten Endes
von dieser Arbeitsmigration beeinflusst werden
wird.
Das
ist das europäische Dilemma: Man will die
Arbeiter, aber wenn sie da sind, akzeptiert man sie
nicht. Wir erleben also gerade einen Konflikt
zwischen Kultur und Kapital. Oriana Fallaci starb
mit der Gewissheit, dass ihr Italien nicht mehr das
gleiche Land war, in dem sie geboren wurde.
Berlusconi setzt Fallacis bitteren Feldzug fort,
auch, wenn er ihn nicht gewinnen kann. Für
Italien mag Pasta weiterhin das Nationalgericht
bleiben, aber die nordafrikanischen
Arbeitsmigranten werden ihre Vorliebe für
Tahini und Schawarma beibehalten, und dagegen ist
Berlusconi machtlos.
Hier
achten und respektieren wir die treffende Analyse
des Experten: Tatsächlich bitten unsere
Geschäftsleute nach billigen Gastarbeitern,
auch weil wir Konsumenten dort einkaufen, wo es am
billigsten ist. Unser aller Gier hat uns letztlich
dieses Problem des Widerspruchs zwischen
Kultur und Kapital beschert: Alles
möglichst sofort und umsonst haben wollen !
Ihr
könnt ja nicht glauben, wie oft mir diese
(Wiener) Un-Kultur in meinem Berufsleben
begegnet.
(Tausche zwei Moscheen gegen teurere
PC-Arbeitsplätze, oder dulde drei gegen eine
billigere Str@fenlösung ... ? Diese Fragen
habe ich meinen Kollegen aus den Fachabteilungen
noch nicht gestellt ...)
Nur
meine Qualifikation schützt mich
vor einem (süd)osteuropäischen oder
türkischen Migranten. Wäre ich Putzfrau,
oder vielleicht auch "nur" Techniker, sähe das
schon anders aus ...
Haben
denn die USA überhaupt eine Kultur ?
Jedenfalls haben sie mehr Platz, und außerdem
sind die Vorstädte abseits vom urbanen Sumpf
reinweiß. In Europa hat es bislang keine
homogene Kultur oder einen gemeinsamen
Gründungsmythos gegeben. Ein dazu
entsprechendes Europa-Bewusstsein ist
wohl erst im nächsten Jahrhundert zu
erwarten.
Alle
Offenbarungsreligionen, die sich auf Heilige
Schriften berufen, wollen die Welt nach ihren
Vorstellungen formen. Darauf basiert ihre
Identität.
Jemand,
der fragt, ob der Islam mit der Moderne kompatibel
sei, denkt nicht historisch, sondern
essentialistisch. Deswegen ist auch die Frage, ob
der Islam mit der Demokratie vereinbar sei, einfach
die falsche Frage; und deswegen führen auch
alle Antworten darauf in die Irre. Historisch
gesehen war der Islam immer wieder in die
unterschiedlichsten kosmopolitischen Kulturen
integriert - und das nicht etwa aufgrund der
Barmherzigkeit der islamischen Doktrin, sondern
ausschließlich auf Grund der sozialen
Kräfteverhältnisse, innerhalb derer
Muslime - wie alle anderen menschlichen Wesen -
eingebunden waren.
Dass
das kulturelle Umfeld in Europa heute
kosmopolitisch ist, lässt sich nicht etwa auf
die nachgiebige Toleranz des Christentums
zurückzuführen. Nein, es liegt daran,
dass der soziale Kontext - vor allem durch das
Zeitalter der Aufklärung - das Christentum
gezwungen hat, sich an das
nicht-religiöse Umfeld anzupassen. Das gleiche
gilt auch für das Judentum, und
a
forteriori
für den Islam.
Die
Aufklärung hat es nur in Europa gegeben. Damit
ist ein Vergleich mit den USA oder mit den anderen
Weltregionen ausgeschlossen. Die Praxis hängt
an den Leuten und nicht an wirklich abstrakten
philosophischen Überlegungen. Unserer Ansicht
nach ist die Religion jedoch keine Philosophie,
sondern eine Beziehung zwischen Mensch und
dem-Gott
(religio als Bindung). Aus dieser
Beziehung, das manchen durch die Ebenbildlichkeit
des Menschen zu Gott vielleicht sogar ein Urbild
von sozialer Beziehung überhaupt zu sein
vermag, erwachsen schließlich Impulse
für die Beziehungen der Menschen
untereinander.
Für
uns ist die Religion demnach nicht bloß eine
Weltanschauung oder ein Stand am
Markt der Möglichkeiten.
Es fällt uns auf, dass jener Islam-Experte
kein Wort über Gott oder über den
Propheten verloren hat. Er mutet uns als liberaler
Atheist an, welcher durchaus treffende und zu
respektierende Analysen zur Migrationsfrage macht,
uns aber, was das Verständnis vom Wesen einer
Religion angeht, nicht zu überzeugen
vermag.
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