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E R D ' s E
L E V E N T Y T
Ä N Z E L E Y
. 2
0 1 0 Das wilde
Kind (Thomas
Buchtipp) Diesmal
habe ich ein Buch ausgewählt, das eine ganz
besondere Form von Beziehungen und
Beziehungsunfähigkeit beschreibt. Ein
Mensch? Ein Tier? Oder irgendetwas dazwischen?
Neben Kaspar Hauser war Victor
von Aveyron
(geboren um 1788), der berühmteste Fall eines
"Wolfskinds". 1798
wird Victor zum ersten Mal gefangen und in
der Dorfschänke als Monstrum begafft,
zwei Jahre und mehrere Ausbrüche
später endgültig in Ketten
gelegt. Bald schon nehmen sich
Naturforscher und Psychiater aus Paris des
Kindes an, das weder ins Bild des edlen
Wilden noch ins Prokrustesbett der
schwarzen Pädagogik passen will.
Victor verweigert sich allen Besserungs-
und Bildungsanstalten und selbst dem
Kruzifix des Dorfpfarrers; misstrauisch
und unempfindlich gegen Feuer, Kälte
und menschliche Wärme beißt er
die Hände, die ihn untersuchen,
schlagen oder streicheln wollen. In dem
jungen Pariser Arzt Jean Itard, einem
Pionier der
Gehörlosen-Pädagogik, und seiner
Haushälterin findet das Wolfskind
schließlich Menschen, denen es
vertraut. Victor
lernt Gekochtes zu essen (und halbwegs
sittsam auszuscheiden), Kleider zu tragen,
sogar einige Wörter und
rudimentäre moralische Empfindungen.
Aber nach jahrelangen Bemühungen
kapituliert selbst der geduldige,
einfühlsame Itard: Sein Geschöpf
blamiert ihn bei einer Vorführung von
Kunststückchen im Salon von Madame de
Récamier; in der Pubertät
beginnt es, schamlos zu onanieren. Victor
ist nicht gesellschaftsfähig. Sein
Lehrer verliert das Interesse, Madame
Guérin benutzt ihn als Hausknecht;
selbst die Kinder schlagen und
verhöhnen ihn erbarmungslos. 1828
stirbt Victor, verwahrlost und längst
vergessen. Boyle,
der in den USA lebende Autor, hat sich dem Fall
Victor von Aveyron angenommen. In seinem zutiefst
ergreifenden Porträt eines Wolfskindes geht er
der subtilen Grenze nach, an der sich entscheidet,
wer Mensch und wer Tier ist. Er
fügt dem Fall wenig Neues hinzu. Aber so wie
er Geschichte erzählt mitfühlend,
ergreifend, ohne Ironie und sentimentale
Verklärung , wird aus einer
gequälten Kreatur ein Mensch, aus dem
Sorgenkind der Aufklärung ein instinktiver
Rebell gegen Zivilisation, Vernunft und Kultur. Wie
in den Umweltmärtyrern, Althippies und
Ökospinnern aus "Ein Freund der Natur", "Drop
City" oder "Willkommen in Welville" lebt auch in
Victor, wie pervertiert auch immer, der alte Traum
von einem Leben im Einklang mit der Natur. Für
Boyle ist der Homo sapiens bekanntlich das Tier,
das seine animalischen Wurzeln verleugnet und
verloren hat und sich zum Narren macht, wenn es
sich ihrer erinnert.
Nach
ausschweifenden Jugendjahren in der Hippie- und
Protestbewegung der 60er Jahre war Boyle Lehrer an
der High School in Peekskill und publizierte
während dieser Zeit seine ersten
Kurzgeschichten in namhaften
Zeitschriften. Heute
lebt er mit seiner Frau und drei Kindern in
Kalifornien und unterrichtet an der University of
Southern California "Creative Writing". Das
Wilde Kind ist im Februar 2010 unter der
ISBN 9783446235144 bei Hanser erschienen, umfasst
105 Seiten und ist um 13,30 Euro im Buchhandel
erhältlich. Eleventy.at
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Eine nackte Kreatur, die sich, in
Südfrankreich von Jägern entdeckt, auf
einem Baum versteckt. Er kann nicht sprechen, isst
Nüsse und Wurzeln und verabscheut gekochte
Speisen. Ist sein merkwürdiges Verhalten
kulturell oder biologisch bedingt? Ist der Mensch -
frei nach Rousseau - von Natur aus gut, oder
prägt erst die Erziehung sein Wesen?
T. Coraghessan Boyle wurde 1948 in Peekskill, New
York geboren und wuchs in schwierigen
Familienverhältnissen auf.