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G E R D ' s

E L E V E N T Y

I N N E N L I C H T . 2 0 0 9

Korruption als Haltung

Im Rahmen unseres Zyklus "Dir geschehe, wie Du glaubst" nehmen wir folgendes Juwel aus der religiösen Weltliteratur zu Hand und behandeln daraus einige Auszüge in unserem Wiener Hauskreis.

Maulana Dschelaladdin Rumi, der größte Mystiker der islamischen Welt, bietet an Hand dieser Gesprächssammlung aufschlussreiche Einblick in seine Denk- und Arbeitsweise. In seinem einzigen Prosawerk lässt sich Rumi in einem völlig neuen Licht betrachten.

Die maßgebliche Übersetzung von Annemarie Schimmel trägt dazu bei, in Rumi den geistigen Lehrer,
die Autorität in der Auslegung des Koran sowie den Kenner menschlicher Lebensprobleme zu erkennen.

Rumis Mystik findet hier den Weg zurück in die Endlichkeit.
Die Notwendigkeit Gott, den Einen, in Allem zu sehen, bildet den Kern seiner Ausführungen.

"Rumi lebte durchaus nicht immer auf den höchsten Wolken mystischer Kontemplation.
Im Gegenteil, kein anderer persisch schreibender Dichter hat dem Volk so aufs Maul geschaut wie er." (Annemarie Schimmel)


Den Anfang machten wir mit dem Thema der Korruption als seelische Haltung, von der die konkrete Religion beeinflusst wird. Dazu haben wir uns Folgendes (hier auszugsweise) angesehen:

... Der Mensch muss sein Unterscheidungsvermögenvon allen Zwecken leeren und einen Glaubensfreund suchen. Glaube ist, den wahren Freund zu erkennen.
Wenn jemand sein Leben in der Gesellschaft von Leuten verbracht hat, die kein Unterscheidungsvermögen haben, wird auch sein eigenes Unterscheidungsvermögen schwach, und er ist nicht fähig, jenen Glaubensfreund zu erkennen. Du hast diesen Körper genährt, in dem es kein Unterscheidungsvermögen gibt. Unterscheidungsvermögen ist diese eine Eigenschaft, die im Menschen verborgen ist. ... Unterscheidungsvermögen ist eine subtile innere Qualität, die in euch liegt. ...
Wie kommt es, dass ihr alles daran wendet, die eine Substanz zu pflegen, und die andere Essenz völlig vernachlässigt ?
Es ist vielmehr so, dass der Körper durch die andere besteht, während die andere keineswegs vom Körper abhängig ist. ... Es ist so, als hättest Du eine Lampe vor die Sonne gestellt und meintest "Ich sehe die Sonne vermittels dieser Lampe !" Gott bewahre ! Wenn Du die Lampe nicht bringst, zeigt sich die Sonne noch immer - was braucht's die Lampe ?

... Wenn Du gerade (aufrichtig) wirst, verschwindet all diese Krummheit. So hüte Dich, lass nicht die Hoffnung fahren !
Die Gefahr, mit Königen zusammen zu sitzen, besteht nicht darin, dass ihr am Schluss den Kopf verlieren könntet - der Kopf muss ja sowi(e)so einmal weg, heute oder morgen.
Die Gefahr kommt vielmehr daher, dass, wenn Könige die Szene betreten und ihre Triebseele kräftiger wird, also sozusagen zum Drachen
(bzw. Begierde) wird, dann wird derjenige, der mit ihnen verkehrt und behauptet, mit ihnen befreundet zu sein, und Geld (und Zuwendungen anderer Art) von ihnen annimmt, bestimmt genau ihren Wünschen gemäß sprechen. Er wird ihre üblen Absichten liebevoll beachten und annehmen und wird Gott ärgern, um ein Geschöpf zufrieden zu stellen, und ist dann nicht mehr im Stande, ihnen zu widersprechen.

Darin liegt die Gefahr: dass es zum Verderb des Glaubens führt. ...

Wenn Du ihre Interessen pflegst, schadet das Deiner Religion, und die Seite, die die eigentliche Wurzel, wird dir fremd. ...
Je mehr Du Frieden mit Weltmenschen machst, desto ärgerlicher wird der Geliebte über Dich. Wenn jemand einem Unterdrücker beisteht, dann gibt Gott ihm Macht über ihn.

Allzu oft werden Vorhaben von eitlen Eigeninteressen seelisch niederer Regionen dominiert. Heute treten sie kaum offen zu Tage, denn wer gibt schon offen zu, dass er jener oder jenem gefallen möchte, um daraus diesen oder jenen persönlichen Vorteil zu erlangen ? Jeder weiß von der "Freunderlwirtschaft", welche jedoch am Wesen eines Freundes vorbeigeht. Hier hilft mitunter durchaus die innere Disziplin einer Askese, welche das Vordergründige relativiert, den Blick reinigt und damit auf das Wesentliche freimacht. Beispielsweise dient der Zakat einem "mit Gott ins Reine Kommen", wenn zuviel Besitz und Vermögen die Beziehung trübt und die Nähe zu Ihm verstellt. Fasten kann hierzu auch interessant sein.

In unserem Hauskreis ist uns angenehm aufgefallen, dass dem Angesprochenem gleich der "gerade Weg" angeboten wird, anstatt ihm bloß ein schlechtes Gewissen mit seiner Schuld zu machen, und ihm dadurch am Handeln und an seiner Veränderung zu hindern. Wenn quasi das Fundament für den Neuanfang - ohne langatmig zu erwähnen, wie nötig man es hat - gleich in den Umfang miteinfließt wirkt dies viel ansprechender. Wenn nämlich der Angesprochene schon darauf gekommen ist, wie es um ihn steht, weiß er ohnedies und von innen her vom Bedarf des "geraden Weges", dessen Beschreitung die Krummheit zum Verschwinden bringt. Dies nämlich ist eine Gesetzmäßigkeit, gleich wie jene, wenn einer den "geraden Weg" verlässt, um seinen Vorgesetzten oder Mäzenen zu gefallen.

Es ist nicht, wie oft fälschlicherweise behauptet wird, die Rache eines Beleidigten, wenn Gott einem Unterdrücker Macht verleiht. Wer sich mental in Abhängigkeit begibt, der wird abhängig. Das ist eine Gesetzmäßigkeit. Zwar stellen natürliche Gesetzmäßigkeiten "Gewohnheiten Gottes" zur Ordnung in der Welt dar, und sie können auch erforscht werden - aber ich halte jene Gesetzmäßigkeiten besser als eine chaotische Welt, in welcher es keine Hoffnung mehr gibt. Gottes Gewohnheiten nämlich bergen die Ordnung in der Welt, woraus unser Leben und Dasein überhaupt möglich ist, und als Christen ist uns von Ihm die Gewissheit gegeben, dass wir uns aus der Abhängigkeit Mächtiger befreien können.

*

Ich denke, wir werden uns im Wiener Hauskreis noch weiter mit der Korruption beschäftigen. So bietet sich die Schlacht von Kerbala um den rechtgeleiteten Gemeindevorstand an, als Mahnmal für die Gefahr des Missbrauches und Vereinnahmung von Religion, von Terroristen - oder auch von Populisten ("Abendland in Christenhand"), welche ja auch andere terrorisieren - zum Beispiel.

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