Eigentlich
© Ein Irrtum.
Dass
der Wahlkampf positive Seiten haben könnte,
war für mich eine große
Überraschung, aber nichtsdestoweniger
ließ ich mich davon überzeugen, dass es
so sein kann. Ich verdanke ihm schließlich
das Wort des Monats. Und das kam so:
Das
Plakat trägt eigentlich die Aufschrift
Kompromisslos ehrlich (ich gebe zu,
dass ich nicht ganz sicher bin, ob es wirklich
kompromisslos hieß, aber es war
zumindest ein Begriff mit der gleichen Bedeutung).
Nun befand sich jedoch der Querstrich im kleinen e
genau da, wo zwei Teile des Plakats
aneinandergrenzten bzw. in diesem Fall einander
überlappten, genau so, dass alle Buchstaben
kaum verzerrt wirkten. Abgesehen davon, dass das
e zu einem c geworden
war.
Es
sieht wie eine Art Freudscher Fehlleistung
aus, denn der Wahrheitsgehalt des Plakates hat sich
sogar noch erhöht: chrlich
erinnert sofort an das lautmalerische
chr, mit dem Schnarchen dargestellt
wird. Genau so kamen mir die Plakate zur Wahl auch
vor - langweilig und durchaus als Schlafmittel
verwendbar.
Vermutlich
ist das noch nicht mal beabsichtigt, aber es ist
natürlich beabsichtigt, möglichst wenig
Energie zu verbrauchen und die Bedeutung der Wahl
nicht hochzuspielen, das könnte ja geradezu so
aussehen, als ob die EU für wichtig erachtet
würde, und das würde ja womöglich
nicht gut ankommen.
Mal
abgesehen davon, dass die EU wichtig ist,
vollkommen egal, wie man ihr gegenüber
eingestellt ist - mich überlief das kalte
Grausen, als mir klar wurde, dass die Plakate als
sinnvoll erachtet werden. Ich wüsste zu gerne,
ob Plakate jemals auch nur einen einzigen Menschen
in seiner Entscheidung, diese oder jene Partei oder
Person zu wählen ernsthaft beeinflusst haben.
Wenn das der Fall ist, so wäre es ein fataler
Fall, gemessen an der Qualität vieler dieser
Plakate, für die chrlich noch ein
ausgesprochener Euphemismus wäre.
Und
dann auch noch kompromisslos chrlich. Das deckt
sich vermutlich mit den Vorstellungen der meisten
Wahlberechtigten, was das Gremium anbetrifft. Bis
dies hier in einer Zeitung erscheint, wird die Wahl
wohl bereits vorbei sein und wir damit leben
müssen, wie auch immer sie ausgegangen sein
mag.
Aber
ich hoffe, dass wir sie trotz allem nicht
verschlafen haben. Manchmal kann es ungesund sein,
etwas zu verschlafen, und das scheint mir in diesem
Fall so zu sein. So gering der tatsächliche
Beitrag sein mag, es geht mir um das
Grundsätzliche, nämlich darum, dass
gewählt wird. Auch in mir kommt bei fast allen
Figuren, um die es geht, nicht eben Freude hoch.
Diesen Figuren daraufhin das Recht zuzubilligen,
das unter sich auszumachen und sich komplett davon
abzuwenden, ist jedoch noch bei weitem
kurzsichtiger, denn dadurch billigt man ihnen auch
noch größere Verfügungsgewalt zu.
Wenn wir uns um unsere Angelegenheiten nicht
kümmern, dann dürfen wir uns auch nicht
beschweren, wenn es andere nicht so tun, wie wir
gewollt hätten.
Der
Preis dafür, von demokratisch gewählten
Personen regiert zu werden, sind nun einmal eben
jene Personen ... Aber das ist immer noch das
weitaus geringste Übel.
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