Alleine
schon die etwa hundert Konfessionen und
Ausprägungen der drei abrahamitischen
Religionen, welche an dem Einen Gott, welchem kein
anderer beizustellen ist, anknüpfen, zeigen
uns schon, dass Religion keineswegs eine
einförmige Wahrheit ist. Die (m)eine Form kann
(s)ich nur in den Welten meines Seelenlebens
entwickeln, und die sei mir, so Gott will, gegeben;
aber ich kann diese eine meine Form nicht als
Uniform für meine Umwelt verstehen. Was mir
gegeben ist, ist auch anderen gegeben. Die wirklich
Einigende liegt im Einen Gott - und in der
Geschichte Seines Wirkens in und mit uns
Menschen.
Diese
Geschichte eben ist ja der Grund
für die rund hundert Konfessionen, die Orden,
Bruderschaften und Freikirchen gar nicht
mitgerechnet. Die Menschen haben diese Geschichte
eben gebraucht, und sie brauchen sie heute noch.
Daher betrachte ich diese Religionen als Geschichte
Seines Wirkens, die sich in jedem von uns konkret
fortsetzt. Gleich einem organisiertem Vorhaben
existieren Meilensteine in Seiner Geschichte in und
mit uns (mir), sowie auch in unserer (meiner)
Geschichte in und mit Ihm.
Die
bekanntesten Meilensteine sind Seine Gesandten und
Propheten, sowie die Heiligen Schriften und Gebote,
die uns in unserem Zusammenleben helfen
können. Mir am Wichtigsten ist dabei Sein
Indikativ, ganz im Sinne von Niemand
kommt zum Vater, denn durch
mich
als die Verkörperung des Freikaufenden &
Ermöglichenden und darin Er als der stetig
Schenkende.
Religion
betrachte ich daher stets im Zusammenhang mit
Seiner Geschichte in und mit uns, sowie mit unserer
Geschichte in und mit Ihm.
*
All
dies benötigt wahrlich eine wesentliche
Voraussetzung im Zusammenleben - in der Politik -
unter uns. Diese Voraussetzung ist vielen von uns
zu selbstverständlich geworden, weil sie
praktisch unter dem Einflusse des Materialismus,
dessen nötige Heiligung und Erhebung aus
seinen Niederungen hin zur Liebe zur Mater Erde von
Kirchen, Gemeinden und Glaubensgemeinschaften bis
heute nahezu ausgeblieben ist, missverstanden
wird.
Es
ist die Errungenschaft der Religionsfreiheit und
nicht jene des Atheismus, welche
verfälschenderweise gerne als
Religionsfreiheit ausgegeben wird.
Nein, hier handelt es sich um die Freiheit
für
die Religion, und auch um die Freiheit der Religion
von instrumentalisierten Interessen mancher
Lobbyisten.
In
Hinblick auf die Diskussionen über eine
etwaige Mitgliedschaft der Türkei in unserer
EU fällt mir ein, dass da noch nie über
die Religionsfreiheit als Teil der Demokratie und
als eine Voraussetzung für einen EU-Beitritt
gesprochen wurde.
Dazu
muss man nämlich wissen, dass die Religion in
der Türkei vom Staat instrumentalisiert wird.
Es gibt dort eine eigene Aufsichtsbehörde,
welche über die Predigttexte der Imame wacht,
und dies setzt sich fort bis Deutschland, wo die
Imane für die Moscheen von einer
Tochterorganisation dieser
Aufsichtsbehörde gestellt werden. Man darf
sich vorstellen, dass dies die Integration von so
manchen Muslimen in Deutschland nicht gerade
erleichtert. Wir in Österreich sind da etwas
besser dran, denn hierzulande existiert schon aus
Zeiten der Monarchie eine anerkannte
Glaubensgemeinschaft, was in Deutschland so nicht
der Fall ist.
Als
Zeitgenossen sind wir aufgerufen, uns nun auch
über die Fragen zum EU-Betritt der Türkei
auseinander zu setzen. Der Religion soll dabei eine
angemessene Bedeutung zukommen, nicht zuletzt, weil
davon auch ein Kernland der EU, unser
größter Nachbar, betroffen ist. Darin
wohnt auch die Chance uns über unsere eigene
Identität als Europäer klar zu
werden.
Zum
Beispiel darin, dass der Staat in der freien
Religionsausübung eine neutrale Rolle
einnimmt, und die Instrumentalisierung der Religion
durch einen Staatsapparat zu ächten ist. Oder
auch, dass der säkulare Staat auf die
sinnstiftende Kraft von Religion angewiesen ist.
Nur aus Vernunft ergibt sich auch kein gutes
Miteinander. Deshalb haben wir hier eine
säkulare Ordnung, aber keinen
säkularistischen Staat.
Mir
gefällt es nicht, dass ein Islam in Europa ein
platter türkischer Staats-Islam sein soll, und
ehrlich gesagt, in Sachen Türkei fürchte
ich mich mehr vor einer Militärdiktatur als
vor den Kopftüchern an Hochschulen. Auch die
Koranschulen machen mir keine Bange. Wir leben hier
in Europa auch gut mit Bibelschulen mit ihren etwas
emotionaleren Christen, und sogar einige meiner
Bekannten oder Freunde sind hiervon
hervorgegangen.
Ich
halte die Türkei mehr für ein Konstrukt
als für einen realen Kulturraum. Dies zeigt
sich zum Beispiel im Umgang mit den Kurden, anderen
Minderheiten und auch daran, dass eine
Schriftstellerin aus der Türkei,
von der Thomas hier schon ein
Buch vorgestellt
hat,
Instanbul als eigene Region, ähnlich wie
Singapur im Verhältnis zum größeren
Staat rundherum, sieht. In der Türkei dies
offen anzusprechen ist wahrscheinlich schon
strafbar.
An sich müssen Konstrukte nicht per se
schlecht sein, weil eigentlich viele Staaten (vor
allem zentralistsich geführte) Konstrukte
sind. Warum wirkt die Türkei also so
engstirnig ? Handelt es sich hier um eine
Überkompensation in der allzu strengen
Verteidigung dieses Konstruktes aus dem vorigen
Jahrhundert (das z.B. keine Basisdemokarie kennt) ?
Ist dieses Konstrukt nicht mehr lebbar ? Ahnen die
Kemalisten schon dessen Ablaufdatum ?
Im
Konstrukt Türkei, einst hervorgegangen durch
Atatürk und die Generäle um ihm, hat die
Religion die ihr zugewiesene Rolle zu spielen, und
auch eine ganz bestimmte Form dieser Religion, denn
eine andere Variante des Islam, worin Frauen mehr
praktische Rechte haben, wird zumindest
benachteiligt. Im Ideal-Konstrukt
Türkei wurde die Moderne und
Europa verordnet, was sich nicht nur
durch die Abschaffung der arabischen Schrift
geäußert hat.
Wollen
wir uns Europa und den Fortschritt verordnen lassen
? Wollen wir einen elitären Idealismus,
worin geglaubt wird "das Richtige" mit Gewalt
durchsetzen zu müssen ? (Enneagrammisch sehe
ich darin eine unerlöste EINS, welche sich in
ihrem Stress durch den Islam leiden sieht ...) Kann
denn nicht der Andersdenkende an
sich
respektiert werden, als sich über seine "vom
Richtigen" abweichende Meinung zu ärgern ? Das
wäre zumindest europäischer.
In Hinblick auf eine EU-Mitgliedschaft der
Türkei könnten wir uns daher fragen, wie
es uns in solch einem Land gehen würde. Oder
andersrum: Wovor hätten wir mehr Angst ? Vor
einer Militärdiktatur oder vor einem
sichtbaren Islam ? Als Protestant in Wien stelle
ich mir diese Frage schon lange, und habe darauf
eine Antwort gefunden.
*
Die
Instabilität in der Türkei geht vom
dominanten Militär aus, und nicht von
einer gemäßigten Religion. Wie
würden wir Kärntner reagieren, wenn in
Wien oder Klagenfurt erwogen wird, die dortige
Regierungs- oder Mehrheitspartei zu verbieten ?
Soll so ein Land in die EU kommen ? Soll es bei uns
auch so zugehen ?
Die
Frage nach der Türkei ist auch eine Frage nach
uns selbst. Es ist eine Frage nach unserer
Geschichte und Errungenschaften, sowie auch nach
dem Bedürfnis nach Sicherheit. In der Hinsicht
freue ich mich sogar aus Kärnten zu kommen,
denn dort wohnt jetzt die Frage für ihre
Intellektuellen in Wien, wie sie in ihrem Inneren
mit dem jüngsten Wahlergebnis
umgehen.
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