Diesmal
befasse ich mich in meinem Buchtipp mit einer der
großen Gestalten der deutschen Literatur des
20. Jahrhunderts.
Ich habe dieses Buch neben seiner literarischen
Qualität nicht zuletzt auch wegen des
historischen Hintergrundes
ausgewählt.
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Im
Jahr 1926 erschien Thomas Manns Novelle
"Unordnung und frühes Leid", in der
er kaum verschlüsselt die eigenen
Familienverhältnisse, seine Beziehung
zu seinen sechs Kindern, zumal die
überaus problematische Beziehung zu
seinem ältesten Sohn Klaus,
darstellt. In der Novelle hat der
abfällig beschriebene Sohn den Namen
Bert. Ebenso heißt auch einer der
beiden Hauptprotagonisten des
dokumentarischen Romans "Eine Art Verrat"
von Karl Heinz Bittel.
Auch
dieser Roman ist kaum verschlüsselt.
Die Erzählung orientiert sich an
historischen Fakten, Zeiten und Realien
und an den Zeugnissen, die über die
Charaktere von Thomas und Klaus Mann
Auskunft geben, an deren Tagebüchern
und literarischen Produkten. Fiktiv ist
lediglich die
Darstellungsweise.
Es
ist kein Glück, der Sohn eines
Großen zu sein, könnte
als Motto über diesem Buch stehen. Es
ist das problematische Verhältnis
Thomas Manns zu seinem Sohn Klaus, das den
Autor interessiert. Karl Heinz Bittel
gestaltet mit historischer und
psychologischer Dichte die Verwerfungen
zwischen Vater und Sohn. Literarisch
anspielungsreich hebt er den Konflikt
souverän auf eine allgemeine Ebene.
Was zunächst wie eine kecke Parodie
auf den Großmeister der Parodie
anmutet, erweist sich als vielschichtige
Parabel mit weitreichenden Bezügen
zur Gegenwart. Zwar fußt der Roman
auf verbürgten und dokumentierten
Ereignissen, erzählt sie aber in
kunstvoller literarischer Form so, dass
man einerseits unabhängig vom
individuellen Schicksal etwas von der
universellen Geltung des
Vater-Sohn-Konflikts erfährt,
andererseits sich in Thomas Manns
Beziehung zu Klaus einfühlen kann,
die der Autor Karl Heinz Bittel gleichsam
in einer Art Innenansicht erleben
lässt.
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Im Zentrum des Romans stehen die menschlichen
und politischen Spannungen zwischen dem
Nobelpreisträger Thomas Mann und seinem Sohn
Klaus Mann. Zwischen "Cornelius", dem ruhmreichen
vermögenden, etablierte Bürgerlichkeit
repräsentierenden Vater und "Bert", dem
mittellosen, drogenabhängigen, um Anerkennung
kämpfenden Sohn, der ein flatterhaftes Dasein
in der europäischen Bohemeszene führt,
seine Homosexualität offen auslebt und als
längst erwachsener Mann von der finanziellen
Unterstützung des Elternhauses abhängig
ist.
Sowohl
Bert als auch Tochter Ingrid drängen den
Vater, seine politische Haltung zum
Nationalsozialismus
wie zur Emigration eindeutig vor der
Weltöffentlichkeit zu erklären. Cornelius
zögert, diesem Ansinnen nachzugeben, hierin
beeinflusst von seinem taktierenden Verleger, der
hofft sich mit den neuen Machthabern in
Deutschland
zumindest für einen Teil seiner Autoren
arrangieren zu können. Das ohnehin
prekäre Verhältnis zwischen dem
übermächtigen Cornelius und dem labilen,
gefährdeten Bert steigert sich zum offenen
Konflikt, als Bert den Ruhm des Vaters nützen
möchte, um die von ihm herausgegebene
Exilzeitschrift voranzubringen. In
ihr
Gelingen setzt Bert große Hoffnungen, auch um
des eigenen Fortkommens willen.
Der
zeitliche Rahmen von Bittels Roman ist die Exilzeit
der Familie Mann von 1933 bis 1945. Sehr deutlich
zeigt der Roman auch die widrigen Umstände des
Exils und des politischen Radikalismus der sowohl
in Deutschland wie auch in anderen
europäischen Ländern in dieser Zeit nicht
zu übersehen ist. Auch werden Parallelen zu
Phänomenen aktueller Politik wie
beispielsweise in diesen Passagen
dargestellt:
Jetzt
weiß ich endlich, was man sich unter einem
klassischen Einwanderungsland vorzustellen
hat. sagte sie [Ingrid]. Und
was für eine fabelhafte Behörde die
Fremdenpolizei ist. Sehr effektiv. Sie trägt
ihren Namen zu Recht. Denunzianten gibt es auch in
Fülle, und was ein Schweizer lügt, gilt
allemal mehr als das, was ich die Wahrheit
sage. ... Das Hauptproblem war die
Arbeitserlaubnis, die vom Arbeitsamt und wiederum
der Fremdenpolizei erteilt wurde. Beziehungsweise
eben nicht erteilt wurde, in ihrem Fall. Die
Arbeitslosigkeit sei auch in der Schweiz
groß, und die Furcht vor
jüdisch-bolschewistischer Unterwanderung
ebenfalls. Größer offenbar als die vor
der Nazi-Bedrohung aus dem Nachbarland. Stell
dir vor, man betrachtet mich als Arbeitgeberin und
macht mir jetzt die Auflage, mindestens zwei
Schweizer zu beschäftigen. Die zu finden ist
schier aussichtslos, ich kann schließlich
keine Alphornbläser brauchen. Nicht auf das
Talent, auf den richtigen Pass kommt es heute
an.
Der
Konflikt zwischen Vater und Sohn eskaliert, als
Cornelius sein Versprechen bricht, die von Bert
herausgegebene Exilzeitschrift "Die Sendung" (die
in der Realität den Namen "Sammlung" hatte)
mit Beiträgen und seinem glänzenden Namen
zu unterstützen. Cornelius
alias Thomas Mann distanziert sich sogar in einer
öffentlichen Erklärung von dem Projekt
des Sohnes. Aber auch der Vater erfährt wenig
Loyalität. Das moralische
Krebsübel des 20. Jahrhunderts hat alle sicher
geglaubten menschlichen Bindungen
zerstörerisch befallen.
Bert
wiederum macht öffentlich keinen Hehl heraus,
dass er die politische Haltung des Vaters, der
zögert, den Kontakt zum renommierten deutschen
S. Fischer Verlag abzubrechen und seine Bücher
bei dem kleinen holländischen Exilverlag
Querido heraus zu bringen, tief
verurteilt.
"Eine
Art Verrat" fügt den bekannten Fakten
nichts Neues hinzu. Aber in seiner dramatisierenden
Erzählform gelingt es, eine für das 20.
Jahrhundert wesentliche Erkenntnis zuzuspitzen: Die
menschliche Vergröberung in Zeiten politischer
Tyrannei.
*
Karl
Heinz Bittel, geboren 1947 in Singen, war Lektor in
einer Münchner Verlagsgruppe und
Programmleiter des Knaus Verlags. Er war
langjähriger Lektor von Walter Kempowski. Seit
1999 arbeitet er als freier Lektor und
Publizist. Zahlreiche
Aufsätze und Rundfunkfeatures sind von ihm
erschienen. Gemeinsam mit Jürgen Kolbe
Heller Zauber. Thomas Mann in
München.
Eine
Art Verrat von Karl Heinz Bittel ist am 22.02.2008
unter der ISBN 978-3-940731-00-5 im Osburg Verlag
erschienen, umfasst 304 Seiten und ist um 20,40
Euro im Buchhandel erhältlich.
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