Eleventy.at - Verein - Produkte - Völker - Zeitung: Ausgaben - Themen - Titel - zurückblättern - weiterblättern

G E R D ' s

E L E V E N T Y

F R Ü H L I N G . 2 0 0 9

Thomas Buchtipp

Diesmal befasse ich mich in meinem Buchtipp mit einer der großen Gestalten der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts.
Ich habe dieses Buch neben seiner literarischen Qualität nicht zuletzt auch wegen des historischen Hintergrundes ausgewählt.

Im Jahr 1926 erschien Thomas Manns Novelle "Unordnung und frühes Leid", in der er kaum verschlüsselt die eigenen Familienverhältnisse, seine Beziehung zu seinen sechs Kindern, zumal die überaus problematische Beziehung zu seinem ältesten Sohn Klaus, darstellt. In der Novelle hat der abfällig beschriebene Sohn den Namen Bert. Ebenso heißt auch einer der beiden Hauptprotagonisten des dokumentarischen Romans "Eine Art Verrat" von Karl Heinz Bittel.

Auch dieser Roman ist kaum verschlüsselt. Die Erzählung orientiert sich an historischen Fakten, Zeiten und Realien und an den Zeugnissen, die über die Charaktere von Thomas und Klaus Mann Auskunft geben, an deren Tagebüchern und literarischen Produkten. Fiktiv ist lediglich die Darstellungsweise.

„Es ist kein Glück, der Sohn eines Großen zu sein“, könnte als Motto über diesem Buch stehen. Es ist das problematische Verhältnis Thomas Manns zu seinem Sohn Klaus, das den Autor interessiert. Karl Heinz Bittel gestaltet mit historischer und psychologischer Dichte die Verwerfungen zwischen Vater und Sohn. Literarisch anspielungsreich hebt er den Konflikt souverän auf eine allgemeine Ebene. Was zunächst wie eine kecke Parodie auf den Großmeister der Parodie anmutet, erweist sich als vielschichtige Parabel mit weitreichenden Bezügen zur Gegenwart. Zwar fußt der Roman auf verbürgten und dokumentierten Ereignissen, erzählt sie aber in kunstvoller literarischer Form so, dass man einerseits unabhängig vom individuellen Schicksal etwas von der universellen Geltung des Vater-Sohn-Konflikts erfährt, andererseits sich in Thomas Manns Beziehung zu Klaus einfühlen kann, die der Autor Karl Heinz Bittel gleichsam in einer Art Innenansicht erleben lässt.


Im Zentrum des Romans stehen die menschlichen und politischen Spannungen zwischen dem Nobelpreisträger Thomas Mann und seinem Sohn Klaus Mann. Zwischen "Cornelius", dem ruhmreichen vermögenden, etablierte Bürgerlichkeit repräsentierenden Vater und "Bert", dem mittellosen, drogenabhängigen, um Anerkennung kämpfenden Sohn, der ein flatterhaftes Dasein in der europäischen Bohemeszene führt, seine Homosexualität offen auslebt und als längst erwachsener Mann von der finanziellen Unterstützung des Elternhauses abhängig ist.

Sowohl Bert als auch Tochter Ingrid drängen den Vater, seine politische Haltung zum Nationalsozialismus wie zur Emigration eindeutig vor der Weltöffentlichkeit zu erklären. Cornelius zögert, diesem Ansinnen nachzugeben, hierin beeinflusst von seinem taktierenden Verleger, der hofft sich mit den neuen Machthabern in Deutschland zumindest für einen Teil seiner Autoren arrangieren zu können. Das ohnehin prekäre Verhältnis zwischen dem übermächtigen Cornelius und dem labilen, gefährdeten Bert steigert sich zum offenen Konflikt, als Bert den Ruhm des Vaters nützen möchte, um die von ihm herausgegebene Exilzeitschrift voranzubringen. In ihr Gelingen setzt Bert große Hoffnungen, auch um des eigenen Fortkommens willen.

Der zeitliche Rahmen von Bittels Roman ist die Exilzeit der Familie Mann von 1933 bis 1945. Sehr deutlich zeigt der Roman auch die widrigen Umstände des Exils und des politischen Radikalismus der sowohl in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern in dieser Zeit nicht zu übersehen ist. Auch werden Parallelen zu Phänomenen aktueller Politik wie beispielsweise in diesen Passagen dargestellt:

„Jetzt weiß ich endlich, was man sich unter einem klassischen Einwanderungsland vorzustellen hat.“ sagte sie [Ingrid]. „Und was für eine fabelhafte Behörde die Fremdenpolizei ist. Sehr effektiv. Sie trägt ihren Namen zu Recht. Denunzianten gibt es auch in Fülle, und was ein Schweizer lügt, gilt allemal mehr als das, was ich die Wahrheit sage.“ ... Das Hauptproblem war die Arbeitserlaubnis, die vom Arbeitsamt und wiederum der Fremdenpolizei erteilt wurde. Beziehungsweise eben nicht erteilt wurde, in ihrem Fall. Die Arbeitslosigkeit sei auch in der Schweiz groß, und die Furcht vor jüdisch-bolschewistischer Unterwanderung ebenfalls. Größer offenbar als die vor der Nazi-Bedrohung aus dem Nachbarland. „Stell dir vor, man betrachtet mich als Arbeitgeberin und macht mir jetzt die Auflage, mindestens zwei Schweizer zu beschäftigen. Die zu finden ist schier aussichtslos, ich kann schließlich keine Alphornbläser brauchen. Nicht auf das Talent, auf den richtigen Pass kommt es heute an.“

Der Konflikt zwischen Vater und Sohn eskaliert, als Cornelius sein Versprechen bricht, die von Bert herausgegebene Exilzeitschrift "Die Sendung" (die in der Realität den Namen "Sammlung" hatte) mit Beiträgen und seinem glänzenden Namen zu unterstützen. Cornelius alias Thomas Mann distanziert sich sogar in einer öffentlichen Erklärung von dem Projekt des Sohnes. Aber auch der Vater erfährt wenig Loyalität. Das moralische Krebsübel des 20. Jahrhunderts hat alle sicher geglaubten menschlichen Bindungen zerstörerisch befallen.

Bert wiederum macht öffentlich keinen Hehl heraus, dass er die politische Haltung des Vaters, der zögert, den Kontakt zum renommierten deutschen S. Fischer Verlag abzubrechen und seine Bücher bei dem kleinen holländischen Exilverlag Querido heraus zu bringen, tief verurteilt.

"Eine Art Verrat" fügt den bekannten Fakten nichts Neues hinzu. Aber in seiner dramatisierenden Erzählform gelingt es, eine für das 20. Jahrhundert wesentliche Erkenntnis zuzuspitzen: Die menschliche Vergröberung in Zeiten politischer Tyrannei.

*

Karl Heinz Bittel, geboren 1947 in Singen, war Lektor in einer Münchner Verlagsgruppe und Programmleiter des Knaus Verlags. Er war langjähriger Lektor von Walter Kempowski. Seit 1999 arbeitet er als freier Lektor und Publizist. Zahlreiche Aufsätze und Rundfunkfeatures sind von ihm erschienen. Gemeinsam mit Jürgen Kolbe „Heller Zauber. Thomas Mann in München.“

Eine Art Verrat von Karl Heinz Bittel ist am 22.02.2008 unter der ISBN 978-3-940731-00-5 im Osburg Verlag erschienen, umfasst 304 Seiten und ist um 20,40 Euro im Buchhandel erhältlich.

Eleventy.at - Verein - Produkte - Völker - Zeitung: Ausgaben - Themen - Titel - zurückblättern - weiterblättern