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G E R D ' s

E L E V E N T Y

T I E F W E I S S . 2 0 0 9

Thomas Buchtipp

Dieses mal hab ich mir für den Buchtipp eine rasante, wilde Geschichte von Freundschaft und Rebellion in Istanbul, vom Leben Jugendlicher in der modernen Türkei ausgesucht.
Perihan Magdens Kultroman, von Kutlug Ataman verfilmt, ist in ihrer Heimat ein Bestseller.

Eine Leiche im Schilf. Eine im Bosporus. Eine im Belgradwald. Die Kehlen aufgeschlitzt. So beginnt Perihan Magden einen Roman über die Liebe. „Nein, über den Tod”, sagt sie. Über so verlogene und öde Dinge wie die Liebe schreibe sie nicht mehr. Tut sie natürlich doch. In einem besonders maliziösen Kapitel stolpern zwei Jogger im Wald über eine Leiche. Ein goldenes Istanbuler Paar mit einem Golden Retriever, jung, schön, reich, das sich allen „Verlierern gegenüber maßlos überlegen, fit und schön fühlte”. Bis ihr stolz hechelnder Golden Retriever sie zu der Leiche führt - in wenigen Momenten bricht ob dieses Erlebnisses ihr ganzes Leben zusammen: „Sie weint und übergibt sich: Zweieinhalb Jahre Arbeit für die Katz! Für dieses Jahr waren Hochzeit und Baby geplant. Jetzt wird sie nicht einmal mehr seinen Kopf streicheln können. Nicht seine Hand halten.”

In „Zwei Mädchen” schreibt Perihan Magden über die junge Studentin Behiye, die in Wut, Verzweiflung und Trauer zu ertrinken droht, bis ihr Rettung zuteil wird. Behiye ist rebellisch, wütend, intelligent und unglücklich - auch wenn sie letzteres niemandem anvertrauen würde, ihrer überängstlichen Mutter nicht und schon gar nicht dem herrischen Bruder, der sie am liebsten in einer untergeordneten Frauenrolle sähe. Bis die 16-jährige auf Handan trifft, die Schöne, die Strahlende, die Süße, der man alles verzeiht. Die Teenager sind voneinander fasziniert, es entspinnt sich eine ungestüme, intensive Freundschaft, mitten in der Metropole Istanbul. Jetzt scheint alles möglich. Sie wollen ein anderes Leben, als ihre Mütter es führen, und sie wollen weg aus diesem Land.

Das Skalpell in ihrer Tasche aber hält Behiye stets fest umklammert: ihr Schutz gegen die Welt. Gegen die Männer. Wer Macht hat, ist schlecht.
Die Beziehung der beiden Mädchen ist gefährdet. Handans Mutter, dem Wesen nach selbst noch ein Kind, wird eifersüchtig. Der junge Erim, stolzer Besitzer eines Mitsubishi Lancer, interessiert sich mehr für Handan, als Behiye es für richtig hält. Und schließlich wird ein gefährliches Spiel in Gang gesetzt, das zunehmend außer Kontrolle gerät.


Perihan Magden, geboren 1960 in Istanbul, Ehrenmitglied des englischen PEN, ist eine der wichtigsten Schriftstellerinnen in der jüngeren türkischen Literatur. Durch ihre kontrovers diskutierten Kolumnen in der Zeitung Radikal wurde sie einem breiten Publikum bekannt. Als freie Autorin lebt sie zusammen mit ihrer Tochter in Istanbul. Perihan Magden trägt kein Kopftuch. Sie glaubt nicht an Gott. Sie ist eine Linke. Eine Feministin. Und trotzdem stellt sie sich vor die Regierungspartei, die nun wegen angeblicher islamistischer Umtriebe verboten werden soll. „Weil ich Demokratin bin.”
Perihan Magdens Geschichten kreisen um Istanbul. „Wir sind ein unabhängiger Staat. Wie Singapur”, sagt sie. „Ich bin keine Türkin, ich bin Istanbulerin.” Anstrengend ist das manchmal. 13, 14, 15 Millionen - wer weiß schon, wie viele Istanbuler es heute gibt? Zu viele, meint Magden: „Das ist wie im Aquarium. Irgendwann fangen die Fische an, einander aufzufressen. Zuerst hatte ich Angst, die Leute würden nach Parallelen mit meinem Leben suchen”, sagt Perihan Magden. „Aber das taten sie nicht.” Sie grinst: „Wie gut, dass kein Mensch Bücher liest in diesem Land.”

Zwei Mädchen von Perihan Magden ist am 22.06.2008 als Suhrkamp Taschenbuch 4005 unter der ISBN 978-3-518-46005-4 erschienen, umfasst 327 Seiten und ist um 10,20 Euro im Buchhandel erhältlich.

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