Aus
aktuellem Anlass eine kleine Betrachtung der
aktuellen wirtschaftlichen Situation
(mit
in grün angeführten Anmerkungen der
Redaktion).
Die
erste große Frage, die alle stellen, ist
wohl: Warum? Wie entstand die Krise und wieso
trifft sie ausgerechnet mich? Egal ob jemand Geld
investiert hat und jetzt zum Teil verliert oder ob
jemand gerade versucht einen Kredit zu bekommen und
sich über hohe Zinsen ärgert und
über die um sich greifende Paranoia im
Bankensektor - vollständig verschont bleibt
niemand.
Zu
der Frage, wie es zur aktuellen Krise kam, gibt es
mehrere Theorien.
Eine ist, dass es eine Auswirkung der in den USA
entstandenen Kreditkrise wäre. Die entstand
(sehr stark vereinfacht gesagt) in etwa so: Die
Banken gaben Leuten, die ein Haus kaufen wollten,
einen Kredit, sagen wir als Beispiel in Höhe
von 80.000,-. Als Sicherheit diente - und das ist
absolut üblich - das mit dem Kredit
finanzierte Haus. Nunmehr verpackte die Bank den
Schuldschein (natürlich mit Zinsen, sagen wir,
im Endeffekt wären 100.000,- zu zahlen) samt
Pfandrecht auf das Haus in einen Pfandbrief und
verkaufte den an eine andere Bank, die viele
solcher Schuldscheine sammelte und mit anderen in
Fonds zu verpackte.
Und - aus welchem Grund auch immer - stiegen die
Kurse für derartige Schuldverschreibungen.
Also wurden die Schuldscheine weiterverkauft, zu
immer höheren Preisen. Jeder sah nur auf den
Preis, den er gezahlt hatte und auf den, den er
für den Weiterverkauf bekam, aber niemand
interessierte sich schließlich dafür,
was eigentlich auf dem Schuldschein draufstand.
Irgendwann erreichten Schuldscheine (100.000,-)
einen Preis von 200.000,- bis 250.000,-. Wenn alles
gut ging und der Schuldschein eingelöst werden
konnte, zahlte der zahlungsfähige und
zahlungswillige Schuldner seine 100.000,- und
keinen Cent mehr.
Dass das im Endeffekt nur ein Verlust werden kann,
braucht wohl nicht mehr extra erklärt werden.
Aber was, wenn der Schuldner nicht
zahlungsfähig und -willig ist? Nun, dann wird
eben das Haus versteigert. Aber das Haus war von
Anfang an keine 100.000,- wert sondern vielleicht
nur 60.000,- und dummerweise sind gerade jetzt
viele ähnliche Häuser zu kaufen, aber es
gibt nur wenige Leute, die ein Haus kaufen
können, also wird das Haus vielleicht nur um
40.000,- verkauft. (Die genannten Zahlen sind nur
ein Beispiel und haben nichts mit
tatsächlichen Geschäften zu
tun.)
Irgendwie
spielten die Banken mit den faulen
Krediten das alte Spiel Schwarzer
Peter - jeder versuchte die Schwarzer
Peter Karte einem anderen Spieler anzudrehen,
im Wissen, dass derjenige, der bei Ende des Spiels
die Karte in der Hand hatte, verlieren würde.
Dieses Prinzip mag ein lustiges Spiel für
Kinder sein, aber hat in der Wirtschaft nichts
verloren.
Zunächst
hieß es ja, nur amerikanische Banken seien
betroffen. Abgesehen von zum Teil
unverantwortlichem Verhalten der Politiker kam dann
plötzlich heraus, dass auch europäische
Banken betroffen waren, denn sie hatten - verpackt
in Fonds, über Garantien, Anleihen etc. die
sie amerikanischen Banken gegeben hatten - alle
hatten auch an dem Schwarzer Peter
Spiel mitgespielt.
Der
Erfolg ist, dass keine Bank der anderen mehr traut
und deshalb wesentlich weniger Geld vorhanden ist.
Wieso?
Wo ist das Geld hin - Geld kann doch nicht einfach
weniger werden? Nun ja, einerseits gibt es das
virtuelle Geld, das nur auf dem Papier
oder in der Datenbank existiert und nie einen
tatsächlichen Wert hatte, das kann
plötzlich weg sein. Und sonst? Das echte Geld
haben jetzt einfach andere Leute, nämlich
jene, die auf fallende Kurse gewettet hatten und
damit ein Vermögen gewinnen
konnten.
Das
ist nur eine von vielen Theorien, aber bestimmt
nicht die schlechteste.
Wie
wäre es mit anderen Theorien?
In letzter Zeit herrschte eine enorme Euphorie an
den Börsen, so gut wie alles stieg in
Höhen, die mit dem dahinterstehenden
tatsächlichen Wert der Firma nichts mehr zu
tun hatten - und weil alles stieg, kauften die
Leute und weil die Leute kauften, stieg alles
weiter ... Aber irgendwann ist bei solchen
Luftballons immer Schluss. Es ist ja
so, dass die Kurse teilweise aus Gründen
steigen, die weder mit der Auftragslage der Firma
noch mit deren Vermögen zu tun haben. Es ist,
als würde man heiße Luft in einen
Luftballon blasen. Aber irgendwann platzt der
Ballon und dann kommt genau das heraus, was drinnen
war: heiße Luft.
Nun
tritt aber ein interessantes Phänomen auf: Das
Vertrauen der Anleger ist erschüttert, alle
sind misstrauisch, alle erwarten eine Krise und
verkaufen. Da alle verkaufen und niemand kauft,
sinken die Kurse, auch jene von Firmen, welche
eigentlich von der Auftragslage her gar nicht so
schlecht dastehen und durchaus noch ausreichend
Vermögen haben. Somit tritt der genau
umgekehrte Effekt ein gegenüber jenem eben
beschriebenen Luftballon, denn nun sinken auch die
Aktien jener Firmen, die gut dastehen, auf einen
Wert, der so gut wie gar nichts mit dem
tatsächlichen Wert der Firma zu tun
hat.
Eine
Frage, die sich kaum jemand stellt, ist: Was
könnte man in Zukunft besser machen?
Dabei wäre genau das jetzt wichtig.
Zunächst
stellt sich die Frage, wieso die Wirtschaft einfach
immer wachsen muss, um zu überleben. Heute
esse ich eine Semmel am Tag, warum soll ich
nächsten Monat zwei Semmeln essen, und im
Monat darauf vielleicht drei, nur damit die
Wirtschaft wächst? Ich habe ein Handy, wie
viele andere Leute auch, aber das dürfte noch
gute 4 bis 5 Jahre halten, bevor es kaputt geht und
ich ein neues brauche. Wieso kann die Wirtschaft,
wenn sie stets auf dem gleichen Niveau bleibt,
nicht existieren?
Es
ist ein Teufelskreis. Wir wollen mehr Lohn, weil
immer alles teurer wird und der höhere Lohn
liefert den Firmen wieder einen Grund, die Preise
zu erhöhen. Was soll das? Stellen wir uns
einmal vor, nichts, aber auch gar nichts kann
teurer werden. Brauchen wir dann mehr Lohn, wenn
wir weiterhin die gleiche Arbeit zu den gleichen
Bedingungen machen? Wer jetzt sagt, ja, ich will
mehr bekommen, der kann sich einerseits fragen ob
er tatsächlich mehr bekommt oder ob ihm die
Inflation nicht die Erhöhung sowieso wieder
wegfrisst, und sollte sich andererseits
fragen, warum er mehr bekommen soll, wenn er nicht
im Gegenzug bereit ist, auch mehr zu leisten. Es
geht einfach nicht, dass immer jeder nur mehr
bekommt und dabei wenn möglich weniger
geben/leisten will. Nicht alle können immer
nur mehr bekommen - irgendwer muss auch dafür
zahlen.
Diese
Ansichten dürfen nicht missverstanden werden,
es bedeutet nicht, dass Kommunismus als Gegensatz
zum Kapitalismus das bessere System
wäre.
Das
Problem liegt ganz wo anders. Alle
Wirtschaftswissenschaften studieren nur die
Wirtschaft, wie sie derzeit funktioniert, aber
keiner überlegt sich, ob nicht ein neues,
gänzlich anderes System stabiler
wäre.
Worauf
müsste dieses neue System basieren? Einerseits
auf dem Prinzip, dass nicht Wachstum sondern
gleichbleibende Verhältnisse, heute
abfällig Stagnation genannt, die
Wirtschaft am leben halten. Nicht das
Mehr zählt, nicht das
Höher/Besser/Schneller zählt, sondern das
Prinzip befriedigendes Überleben.
Ich brauche keinen supergroßen und
superteuren Plasma-TV, ich kann genauso gut mit
meinem Uralt-Bildschirm fernsehen und wenn der
irgendwann kaputt geht, will ich keinen
größeren sondern einen maximal
gleichwertigen Ersatz haben.
Ein
System, das von Stagnation am Leben erhalten wird,
ist bei weitem nicht so anfällig für
Krisen wie eines, das auf ständigem immer
schnellerem Wachstum basiert.
Anm.d.Red.:
Das Wirtschaftswachstum entsteht nicht alleine
durch Spekulation, sondern kann sich auch durch
neue Erfindungen, durch sozialen oder
technologischen Fortschritt einstellen. Die
Umwelttechnologie ist mittlerweile eine eigene
Branche geworden - und die wächst. Dennoch
stellt sich die Frage einerseits nach dem,
was wächst und andererseits nach der
Zugänglichkeit und
Verteilungsgerechtigkeit.
Denken
wir an die Telekommunikation und an die Erweiterung
der Publikationsmöglichkeiten der letzten
zwanzig Jahre, so kann zumindest unser Verein froh
sein, dass es auf diesem Gebiet Wachstum gegeben
hat. Die Zeitung vor 15 oder 20 Jahren wurde mit
Schreibmaschine geschrieben, und die Bilder wurden
danach aufgeklebt. (Der Raum für Bilder musste
ausgemessen werden, Textkorrekturen oder
-erweiterungen war schwer möglich,
Reaktionszeiten auf Leserbriefe - sofern in
Papierform überhaupt welche kamen - dauerten
länger ...) Die Zeitung wurde in
Schwarz-Weiß kopiert, weil es noch keine
Farbkopierer gab, oder, falls doch, Farbkopien sehr
teuer waren.
Kurz:
Mit dem Vielfachen der heutigen Kosten wurden
nur ein Bruchteil der Leser mit zudem einer viel
schlechteren Qualität erreicht. Die Redaktion
(und wahrscheinlich auch viele unserer Leser) ist
(sind) sehr dankbar, dass es für die Werkzeuge
zur Erstellung und Veröffentlichung unseres
Vereinsorganes keine "Stagnation" gegeben hat.
Sehr wahrscheinlich würde im Falle der
"Stagnation" unser Verein gar nicht existieren.
Dabei denke ich an unsere Lesungen mit unserem
Büchertisch. Mit unseren finanziellen Mitteln
hätten wir unsere Produkte gar nicht fertigen
können. Ganz zu schweigen vom CD-Brennen aus
unserer Gründungszeit, aus dem wir uns die
Mittel für die Vorfinanzierung unserer
Produkte verdient haben.
Die
Redaktion meint jedoch, dass schon alleine unser
Verein mit seinem Organ ein gutes Beispiel für
ein Wachstum mit Verteilungsgerechtigkeit, bzw.
für eine Zugänglichkeit zu jenem, was aus
dem Wachstum hervorgeht, sein kann. Auf das
Internet selbst, das vor zwanzig Jahren zwar
existiert hat, aber kaum für jemanden
zugänglich war, brauche ich - denke ich -
nicht gesondert eingehen.
Wachstum
kann auch eine Verbesserung von Ablauforganistionen
und Geschäftsprozessen bedeuten. Bevorzugte
unsere Gesellschaft "Stagnation", wäre ich
wahrscheinlich arbeitslos, und die
öffentlichen Ämter arbeiteten wie zu
Nestroy's Zeiten - wofür wiederum die Wahlen
ein gutes Beispiel sind: Da gibt es so gut wie nur
Papier. Ich will mir z.B. den öffentlichen
Dienst ohne EDV - zweifelsohne eine Frucht aus dem
Wachstum - gar nicht erst vorstellen ...
Freilich
sind jedoch Grenzen des Wachstums, verursacht
und/oder verbunden durch ein einseitiges Wachstum,
zu beachten ...
Andererseits
müsste das Spekulieren - zumindest bis zu
einem gewissen Grad - unterbunden werden.
Was
passiert nun, wenn in dem Stagnations-System doch
ein Wachstum passiert, etwa weil neue
Produktionsmethoden die Herstellungskosten
minimieren? Nun, dann wächst das System eben,
alle freuen sich, weil sie für ihr
(stagnierendes) Gehalt plötzlich mehr kaufen
können.
Hier
liegt die eigentliche Gefahr dieses Systems:
Nämlich, dass alle sich wieder an das Wachstum
gewöhnen und plötzlich nur noch Wachstum
zählt. Stattdessen müsste in diesem
System ein Zurückfallen auf das frühere,
gewohnte Ausgangsniveau als etwas völlig
Normales gesehen werden, anstatt wie heute als
bedrohliche Rezession. Natürlich wäre
dieses Zurückfallen eine Rezession, allerdings
würde rasch eine Einpendelungsphase folgen und
alles wäre wieder beim Alten. Wäre das
wirklich so schlecht?
Nach
dem derzeitigen System wäre das eine
Katastrophe - nach diesem theoretischen neuen
System völlig normal und niemand würde
sich deswegen wundern oder
aufregen.
Dies
ist nur eines von vielen möglichen
Alternativen, wahrscheinlich nicht die beste und
mit Sicherheit nicht die schlechteste. Es gibt kein
perfektes System, in welchem niemals
unerwünschte Nebenwirkungen
auftreten. Es gibt kein System, in dem es auf jede
Frage sofort eine Antwort gibt, in dem auf jedes
Problem eine passende Lösung folgt. Jedes
System hat seine Vor- und Nachteile.
Was
es in Zukunft allerdings irgendwann geben muss, ist
ein neues System, das nicht auf alten, lang
überholten und höchst riskanten Dogmen
basiert sondern stattdessen auf neuen Prinzipien,
die das Leben der Menschen erleichtern.
Der
Mensch lebt nicht, um der Wirtschaft zu dienen
sondern die Wirtschaft existiert, um dem Menschen
zu dienen.
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