Eleventy.at - Verein - Produkte - Völker - Zeitung: Ausgaben - Themen - Titel - zurückblättern - weiterblättern

G E R D ' s

E L E V E N T Y

P di M . 4 5

Johannes Wort des Monats: Gubernalzirkulator

(© mein Vater)

Dieser Ausdruck wurde von meinem Vater ganz bewusst selbst konstruiert.
Er hat mir so gut gefallen, dass ich ihn zum Wort des Monats (bzw. dieser Ausgabe) erhoben habe - und zwar, weil er etwas sehr schön ausdrückt, was mir selbst schon öfter untergekommen ist.

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, dass seine Sprache dazu verwenden kann, nicht zu kommunizieren. Was sagt man aber, wenn man zwar reden, aber nichts sagen möchte? Man flüchtet am besten in Fachausdrücke oder Umschreibungen. Der reale Inhalt der zur Verwendung gebrachten Signifikanten tendiert bei dieser Methodik zwar eher gegen Null, aber wen stört das, es hat gescheit geklungen. Aus einem unerfindlichen Grund denken wir - oder „schöner“ gesagt: Aus nicht einsichtigen Motivationsgefügestörungen resultiert unsere Tendenz der disproportionalen Intelligenzästimation des Verwenders uns wenig vertrauter Begriffe. (Wir glauben, dass Leute klug sind, wenn sie klug reden können.)

Natürlich sind Fachbegriffe etwas Gutes, ganz besonders im Austausch mit Leuten vom selben Fach. Beispielsweise gibt es für jede Knochenstruktur einen lateinischen Begriff, den jeder auf der Welt versteht - oder zumindest nachschlagen kann, wenn dieser Jemand vom Fach ist. Im Gespräch mit Nicht-Fachleuten jedoch ist die Anwendung von Fachbegriffen schlicht und ergreifend unfair, denn niemand wird verstehen, was das heißen soll.

Und sich dumm vorkommen.
Wenn also geantwortet werden muss, bleiben den Gefragten immer noch die Möglichkeiten, ehrlich die Aussage zu verweigern oder unehrlich. Unehrlich geht so, dass eine Antwort gegeben wird, die gar nichts aussagt, aber den Eindruck erweckt, die Frage wäre beantwortet worden und man selbst wäre nur zu blöd, das zu kapieren. Tatsächlich wurde aber gar nichts gesagt, also brauchen wir uns eigentlich gar nicht zu schämen. Der transportierte Inhalt der Aussage hängt ja mit dem Wort nicht näher zusammen.
Ich sehe das Problem in der intentionellen Reduktion der individuellen Rezipierbarkeit des Formulierten (der absichtlichen Verringerung der Möglichkeit, das Gesagte zu verstehen). Leute, die so reden, wollen nicht verstanden werden, sondern den Zuhörern zu verstehen geben, dass sie klug sind, gut reden können und womöglich überlegen sind. Das ist schlicht und ergreifend sowohl ein schlechtes Benehmen als auch eine bewusste Täuschung, denn man wird nicht gescheiter, nur weil man geschwollen reden kann. Die Komplexität des Formulierten, insbesondere in Kombination mit der Gesamtmenge redundanter Begriffssysteme, ist ein inadäquates Werkzeug zur Produktion augmentierter Signifikats-Bedeutung. (Komplizierte Begriffe und viele unnötige Worte bewirken nicht mehr Aussage.)
Das gilt selbstverständlich auch für englische Vokabel: Complexity-based sentence construction, especially in combination with usage of redundant wording systems, is an inapplicable tool for reaching augmented messages. (Ungefähr dasselbe in Englisch.) Aber oft klingt Englisch so gut (für Nicht-Englischsprachige natürlich), dass wir dazu neigen, die Konnotation des Klanges anstelle dessen, was tatsächlich gesagt wird, zu hören. Wir hören also nur „oh, ein schönes, englisches Wort. Wie überaus ansprechend!“ oder „Ein lateinisches, kompliziertes Wort! Ein kluges Wort!“ und fühlen uns entsprechend minderwertig.
Unnötigerweise, denn schließlich ist das Gesagte deswegen nicht gescheiter, nur der Sprecher gemeiner zu den Zuhörern.

PS: Gubernalzirkulator heißt soviel wie „Lenkraddreher“ und bezieht sich auf das Autofahren.

Eleventy.at - Verein - Produkte - Völker - Zeitung: Ausgaben - Themen - Titel - zurückblättern - weiterblättern