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Wie
bereits beim vorherigen Buchtipp
angedeutet, beschäftigen wir uns,
anlässlich der europäischen
Jahres des interkulturellen
Dialoges, in
unserem Literatur-
und Wiener
Hauskreis
mit dem interreligiösen Dialog und
dessen mögliche Impulse auf unser
gemeinsames Europa.
Dabei sind
wir zunächst auf folgenden Beitrag
von Traugott Schöfthaler
gestoßen, den ich auf der
Quantara.de
gefunden habe:
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Plädoyer
für kulturelle Vielfalt
"Meine erste
Lektion bestand in der Wahrnehmung der riesigen
Kluft zwischen einem internationalen Konsens
darüber, dass kulturelle Vielfalt gut, ja
sogar lebensnotwendig für die Menschheit ist,
und der Realität - sowohl in den
zwischenstaatlichen, als auch in den
zwischenmenschlichen Beziehungen. Dabei geht es
nicht nur um den üblichen Umstand, dass
zwischenstaatliche Übereinkommen nicht
unmittelbar im gesellschaftlichen Leben
spürbar werden. Die Kluft hat ihren Ursprung
in einem fundamentalen Missverständnis von
Vielfalt als Trennungslinie zwischen Ländern,
Regionen oder Kontinenten.
Fast jeder Bewohner
der arabischen Welt, unabhängig von
religiöser oder sonstiger Werteorierentierung,
sieht sich als Opfer von Diskriminierung und
mangelndem Respekt. Die meisten Europäer haben
Probleme, wenn das Gespräch auf diesen
sensiblen Punkt kommt. Sie flüchten sich dann
gerne in "small talk" oder in Belehrungen über
Rechtsstaat und Demokratie in Europa. Oft wird
jedoch die Situation noch sehr viel unkomfortabler
- dann nämlich, wenn arabische
Gesprächspartner sich weiter öffnen und
ihre Bitterkeit über eine Welt kommunizieren,
die von einer "amerikanisch-zionistischen
Verschwörung" gesteuert werde, und ein
schwarzes Bild des Westens malen, der seine
ethisch-moralischen Werte verraten habe, zu Gunsten
von Doppelmoral und Duldung von
Pornographie.
Auswege
aus der Konfrontation
Die meisten
Bewohner der arabischen Welt teilen solche
Empfindungen und sind zudem fest davon
überzeugt, dass der Islam die einzige
größere Religion sei, die in allen
anderen Weltregionen diskriminiert werde. Pater
Paolo dall'Oglio, der geistliche Leiter einer
christlich-muslimischen Gemeinschaft im Kloster
Deir Mar Mussa in der syrischen Bergwüste,
lehrte mich, einen Weg aus solcher Konfrontation
heraus zu finden.
Warum sollten
wir nicht den ersten Schritt tun,
Respekt
anbieten, statt zuerst einmal vom anderen
einzufordern ?
Damit lassen sich
Herzen gewinnen und verschlossene Gemüter
öffnen.
Es geht um die richtige Mischung aus südlichen
Traditionen der Gastfreundschaft und
europäischen Traditionen eines Kampfs gegen
Rassismus und Xenophobie.
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Dr.
Traugott Schöfthaler
war
bis Ende März 2007 Direktor der "Anna
Lindh Mediterranean Foundation for the
Dialogue between Cultures" in Alexandria
(Ägypten).
Bis
2004 war er Generalsekretär der
Deutschen UNESCO-Kommission.
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Beim Treffen mit
religiösen Führungspersönlichkeiten
fand ich einen weiteren Schlüssel:
die
Bescheidenheit des
Gläubigen.
Was immer an fundamentalen Unterschieden existieren
mag zwischen Geltungsansprüchen letzter
Wahrheiten, am Ende handelt es sich um Glaubensakte
des Einzelnen, die anderen mitgeteilt werden - mit
allen Einschränkungen, denen menschliche
Wahrnehmung und Handeln unterliegen.
Erbarmungslose
teilen ein Merkmal: den Anspruch auf Besitz
absoluter Wahrheiten. Der
offene Brief
(in PDF) von 38 Führungspersönlichkeiten
islamischer Gemeinschaften vom Oktober 2006 an
Papst Benedikt XVI war ein wichtiger Beitrag zu
einem offenen Dialog. Er hat von höchster
Stelle das - auch koranische - Prinzip
bekräftigt, nach dem es in Religionsfragen
keinen Zwang geben darf.
Eine dritte Lektion
erteilte mir Ismail Serageldin, Direktor der
"Bibliotheca Alexandrina". Er forderte mich auf,
die Unterscheidung zwischen religiöser und
wissenschaftlicher Wahrheit offensiv zu vertreten.
Ich konnte mehrere Gelegenheiten hierzu nutzen,
und, siehe da, es funktioniert. Selbst
Strenggläubige (die wir "Fundamentalisten" zu
nennen uns angewöhnt haben), akzeptieren das
Argument, dass ihre Geltungsansprüche auf
letzte Wahrheiten nur Schaden nehmen könnten
beim Versuch, sie wissenschaftlich zu fundieren.
Ewige Wahrheiten vertragen sich schlecht mit dem
Umstand, dass wir jeden Tag neue wissenschaftliche
Erkenntnisse gewinnen. Selbst Mohammed Mahathir,
ehemaliger Premierminister Malaysias und bekannt
für seine scharfzüngige Verurteilung
westlicher Werte-Dekadenz, vertritt heute dieses
Argument mit seinem Ruf an die islamische Welt,
sich für Wissenschaft und Technik zu
öffnen - ohne religiösen
Vorbehalt.
Westliche
Arroganz und koloniale
Mentalität
Der Blick auf
Europa aus dem Süden verändert
Perspektiven. Zu viele europäische Sichtweisen
sind mit Arroganz gespickt. Die koloniale
Mentalität einer Legitimierung partikularer
Interessen unter Berufung auf universelle Werte ist
fest verwurzelt und vergiftet selbst beste
Absichten. Europäische Afrikareisende kommen
im Gespräch mit ihren Gastgebern schnell zur
Frage nach den "afrikanischen Problemen", für
die sie selbstverständlich Lösungen parat
haben. Sie geben anderen Themen nur wenig oder gar
keinen Raum und kommen nur selten auf die Idee,
sich auf einen Meinungsaustausch zum
Nahostkonflikt, zum Klimawandel, oder zu ethischen
Fragen beim Umgang mit Wissenschaft und Technik
einzulassen (
).
Solcher Respekt ist
nicht die Frucht moralischer Appelle. Aber er kann
erworben werden in einem Dialog, der, definiert
nach Hans-Georg Gadamer - mit der Annahme beginnt,
der Andere könnte Recht haben, ein Dialog, der
als Gelegenheit zum Dazulernen verstanden
wird."
Soweit Herr Dr.
Traugott Schöfthalers Erfahrungen im Dialog
der drei in Europa bedeutenden
Religionen.
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Neulich habe ich
eine Dokumentation von Indien gesehen, in welcher
für die Wirtschaft und Landwirtschaft Indiens
je drei Szenarien der Zukunft in rund zwanzig
Jahren vorgestellt wurden.
Zunächst war das für mich eine mittlere
Katastrophe, in welcher ich wenig Licht für
Indien gesehen habe. Dann aber kam ein Interview
mit einer im zentralen Slum von Delhi lebenden
Inderin, in welcher sie vom Wesen ihres Volkes
erzählte: Von der Lebensfreude, die selbst aus
unplanbaren Situation etwas machen könne. Das
ist vielmehr als dies, was wir Improvisation
nennen. Was mir auch auffiel, dass selbst Arme
immer anständig angezogen haben. In all dem
bewahren sie stets Würde.
In dieser
Dokumentation begenete mir jene von
Schöfthalers erwähnte westliche Arrorganz
und Mentalität. In den Zukunftsszenarien
wurden wiederum nur "westliche" Vorstellungen
hineinverpackt, wie z.B. genmanipulierte
Reispflanzen (obwohl es vor vierzig Jahren noch
200.000 Reissorten in Indien gegeben hat),
Kühlketten für den Transport von
Lebensmittel nach England, Supermarktketten,
spezielle "India-Cars" statt Fahrräder und
Mopeds, high-tech Traktoren, usw.
Immerhin kamen hin und wieder auch Alternativen zu
Wort, wie etwa der lokale Kleinhandel in der
Landwirtschaft, der aus unserer Sicht zwar
"traditionell", aber klimaschonender ist. Dies ist
nicht unwesentlich, soll doch Indien in zwanzig
Jahren mit 1,4 Milliarden Leuten das
bevölkerungsreichste Land der Welt sein. Auch
wurde eine selbstverwaltete Hausgemeinschaft, die
aus einem Sanierungsprojekt von einem Slumteil
hervorgegangen ist, vorgestellt.
Soweit ich das
gesehen habe, wird für Indien keine
Lösung westlicher/europäischer Art von
Erfolg gekrönt sein. Aber Indien hat viele
Potenziale. Einige davon sind für uns
Europäer verständlich, wie etwa die
IT-Branche. Andere hören sich
ungewöhnlich an, wie etwa eine "Mega-EU"
Gemeinschaft mit 17 offiziellen Sprachen und
verschiedensten Religionen. So denke ich, dass
überhaupt jene Völker im Süden die
Lösung ihrer Probleme in sich tragen. Die
Zukunft Indiens wird aus Indien selber kommen
müssen, gleich wie bei Afrika oder
Südamerika.
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Für
mich etwa ist ein
Mut in die Kompetenz der
Betroffenen
selbst vonnöten, ansonsten sich in
mir Hoffnungslosigkeit für unser
aller Zukunft breit machen
würde.
Weil mich
der Islam interessiert hat - zumal es hier
bereits mehr Muslime als Evangelische gibt
- habe ich mich mit der Zeit einfach
selbst mit ihm beschäftigt. Genau das
bedeutet nämlich Kritik: sich
mit jenem, worüber man mitredet,
beschäftigen. Ein Sich Vertraut
Machen mit dem Interessanten oder
Interessenswerten verändert den
Blickwinkel und ermöglich
überhaupt ein Verständnis
für das Thema. Anstelle schneller
Lösungen und Vorurteile halte ich
langsames Einfühlen und Hineindenken
von jenem, wo ich Probleme glaube oder
Handlungsbedarf wahrnehme, für
zielführender.
Zum einen
werde ich erkennen, dass viele "Probleme"
des Anderen eigentlich keine Probleme,
sondern Missverständnisse oder
falsche Darstellungen jener, die sich mit
der Sache gar nicht oder nur unzureichend
beschäftigt haben, sind. Zum anderen
werde ich Barrieren oder "Probleme" dort
orten, wo ich es kaum erwartet habe.
Vieles wird sich einfach anders darstellen
- auch die Potentiale und
Möglichkeiten werden von völlig
unvorhergesehener Seite kommen. Das Andere
wird einfach, irgendwie ...
wunderbar
sein. Und dort liegt für mich die
Hoffnung im wahrsten Sinne des Wortes
begraben, in der
überraschenden Schönheit der
Wunder und unverhofften Möglichkeiten
des Anderen, und manchmal sogar
transzendent Anderen ...
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Darin liegt dann
auch die Hoffnung für das Andere. Dabeisein
und Mitgehen wird dann für mich selbst zum
Bedürfnis, weil das Andere einfach
interessant
ist und seine Zukunft für mich spannend
ist.
Für mich liegt der "Vorteil" in seiner
Schönheit - oder zumindest im Potential dieser
Schönheit. Für den "Anderen" liegt der
"Vorteil" in meinem Blickwinkel auf ihn, der er
nimmt sich stets von innen wahr. Er hat nicht den
Bonus eines Außenstehenden, welcher bislang
noch nicht wahrgenommene Aspekte einbringen kann.
Der Andere vermag auf diese Weise immer etwas Neues
einzubringen. Umgekehrt nämlich kann der
Andere und Fremde mir Neues von Vertrautem
erzählen. Ich habe das im Artikel "Sich in
Religionen spiegeln" am Anfang der Sommerausgabe
2007 der
Zeitung beschrieben. Selbst der (z.B. dort
dargestellte) "Gepriesene Fremde" sein, und
umgekehrt für mich "Gepriesene Fremde"
zulassen erhöhen die Chancen für
interkulturellen Dialog und jene für die
Zunkunft unserer Welt ganz schön gewaltig
!
Ich weiß dies
von mir selbst - heißt es doch, man solle
andere so behandeln, wie man gerne selbst von ihnen
behandelt werden möchte.
Diese Symmetrie scheint mir eine schöne
Lösung im praktischen Mitmachen bei Themen zu
sein.
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