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Für
diesen Buchtipp habe ich ein Buch
ausgewählt, in dem die 3 Religionen,
mit denen wir und in letzter Zeit
intensiver beschäftigt haben, eine
tragende Rolle spielen.
Mit
dem Geschichtslehrer Omar Jussuf nimmt der
erste palästinensische Ermittler der
Literaturgeschichte seine Ermittlungen
auf. In seinem ersten Fall muss er die
Unschuld eines ehemaligen Schülers
beweisen, der ein Mitglied der
Märtyrerbrigaden an die Israelis
verraten haben soll. Ein Wettlauf mit der
Zeit beginnt.
Matt
Beynon Rees ist ein besonderes Wagnis
eingegangen. Mit dem
palästinensischen Bethlehem
wählte er ein nicht einfach zu
beschreibendes Terrain für seinen
Erstlingskriminalroman, stehen sich hier
doch nicht nur Juden und Araber
spinnefeind gegenüber, sondern auch
die Christen erheben nicht ganz
unberechtigte Ansprüche auf den
Heiligenstatus der Stadt. Der Gefahr der
sakral-geistigen und moralischen
Überfrachtung scheint hier kaum
Einhalt geboten werden können. Dazu
kommt, dass Bethlehem mit drei
großen Flüchtlingslagern an
seinen Stadtgrenzen nahezu gestraft ist,
da sich die verschiedenen
palästinensischen Fraktionen in der
Stadt bis aufs Blut bekämpfen und
eine Gesellschaft produzieren, in der
jeder kampfesmüde Palästinenser
automatisch zum Kollaborateur der Israelis
erklärt wird.
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Ein
solcher soll es auch gewesen sein, der Luai Abdel
Rahman den Israelis ans Messer geliefert haben
soll. Kurz bevor ihn der Schutz der Nacht dem
elterlichen Haus übergeben konnte, wurde der
junge Märtyrerbrigadier hinterrücks
erschossen. Aber wer hat Interesse an dem Tod des
jungen Mannes: Waren es tatsächlich
israelische Scharfschützen, die Luai
niedergestreckt haben sollen? Oder ist der junge
Mann vielleicht einfach nur Opfer des
alltäglichen Bandenkrieges? Hat er sich bei
den Märtyrerbrigaden Feinde gemacht und muss
nun Blutzoll zahlen? Oder ist er schlicht einer
Familienfehde zum Opfer gefallen? Diese Fragen
ziehen sich durch den gesamten Roman und werden bis
zum Ende mit immer neuen Theorien
untermauert.
Für
die Märtyrerbrigaden steht schnell ein
Schuldiger fest: George Saba, ein soeben aus
Südamerika zurückgekehrter Christ, den
seine familiäre Verbundenheit und die Hoffnung
nach einer Verbesserung der Situation in die Heimat
gelockt hat. In seinen Worten wird die verzweifelte
Liebe zu dem heiligen Boden deutlich, der die
Menschen im Nahen Osten mit Würde
ausfüllt und am Leben erhält und selbst
die einstmals Geflohenen zurückkehren
lässt: "Aber irgendwann kommt der Tag, an dem
man vom Geschmack echten Hummus, vom Anblick der in
gleißendes Sonnenlicht getauchten Hügel,
vom Klang der Kirchenglocken und den Rufen der
Muezzins träumt. Man vermisst das alles so
sehr, dass man die Sehnsucht regelrecht schmecken
kann. Dann kommt man zurück, ganz gleich was
man dafür aufgibt. Man kann einfach nichts
dagegen machen."
Er
hat aber auch eine sehr bezeichnende Einstellung zu
den religiösen Problemen in seiner Heimat:
Sehen Sie, es geht mir gar nicht darum, was
in diesem Buch (Bibel) geschrieben steht.
Weiß der Himmel, um wie viel glücklicher
unsere leidgeprüfte kleine Stadt wäre,
wenn es keine Bibel und keinen Koran gäbe !
Wenn der berühmte Stern der Weisen aus dem
Morgenland - sagen wir - über Bagdad statt
über Bethlehem geleuchtet hätte,
wäre das Leben hier viel leichter,
erklärte Saba. Es ist nur so, dass mich
diese Bibel an all das erinnert, was sie für
mich getan haben.
In
"Der Verräter von Bethlehem" gelingt es dem im
walisischen Newport geborenen Matt Beynon Rees, der
jahrelang für die New Yorker "Time" als
Bürochef in Jerusalem gelebt hat, das
besondere und trotz aller Krisen doch irgendwie
erhabene Lebensgefühl im Nahen Osten
einzufangen: Die Mischung aus unbändigem Stolz
und tief-trauriger Melancholie, die sich in den
Augen der Menschen spiegelt. Die absurde Mixtur
männlichen Chauvinismus und weiblicher
Verantwortung. Die Verbitterung der Menschen, die
selbst die süßesten Früchte,
gewachsen unter der arabischen Sonne, nicht
vertreiben können. Die permanenten inneren und
äußeren Spannungen der
palästinensischen Gesellschaft und die
allgegenwärtigen religiösen
(Schein)Heiligkeiten der drei großen
Religionen geraten dabei keinesfalls in den
Hintergrund.
Elias
(Priester der Geburtskirche): Ich habe
über unseren Freund George Saba nachgedacht,
da fing ich an, die Muslime in unserer Stadt
für das zu hassen, was sie George angetan
haben. Ich hasse sie wegen ihrer gedankenlosen
Orthodoxie und ihrer wahnsinnigen, zwanghaften
Bewunderung für das Märtyrertum. Ich bin
hier hergekommen, um mich zu Füßen des
heiligen Hieronymus daran zu erinnern, das wir
Christen auch unsere Wahnsinnigen hatten, die in
ihrem Fanatismus alle ablehnten, die anders dachten
und an einen anderen Gott
glaubten.
Ganz
zu schweigen von denen, die die Märtyrer fast
mehr verehrten als Gott selbst., sagte Omar
Jussuf.
Mit
der Verhaftung seines ehemaligen Schülers gibt
es für Omar Jussuf, dem ersten
palästinensischen Ermittler in der Geschichte
der Kriminalliteratur, kein Zurück mehr.
Bisher arbeitete er als Geschichtslehrer an einer
UN-Mädchenschule. Sein Wissen und seine
Lebenserfahrung vereinen das historische Erbe des
Flüchtlingsdaseins seines Volkes. Er kennt die
melancholischen Geschichten der Alten, die von
ihren Olivenhainen im heutigen Israel träumen
ebenso wie die militante Penetranz, mit der die
Nachfolgegeneration diese Erzählungen
missbraucht, um die palästinensische Jugend
mit Hass und blinder Wut auf die Israelis zu
infizieren. Als Lehrer sieht er seine Mission daher
vor allem darin, seinen Schülern eine gesunde
Portion Verstand mitzugeben, der sie davor
behütet, der blinden Opferwut der Extremisten
anheim zu fallen.
Sowohl
der nun beschuldigte George Saba als auch die
hinterbliebene Witwe des jungen Märtyrers,
Dima Abdel Rahman, gehörten zu seinen besten
Schülern. Wenn es ein Vermächtnis von ihm
geben sollte, dann war es die Hoffnung in George
Saba und Dima Abdel Rahman. "Nach all den Jahren
des Lehrens und Kämpfens, nach seinen
Zweifeln, ob er in der Lage sein würde, etwas
im Leben seiner Schüler zu bewegen, bewahrte
ihn nur die Hoffnung, dass er tatsächlich in
ihrem Leben Spuren hinterlassen hatte, ihnen
Wissen, Lebensweisheit und Güte beigebracht
hatte, vor völliger Verzweiflung." Als nur
wenige Tage nach dem Tod des jungen Kämpfers
auch noch dessen junge Witwe Dima geschändet
und ermordet wird und George Saba in einem
Schauprozess ohne Beweise zum Tod verurteilt wird,
steht Jussufs Entscheidung fest: Er muss bis
zur Bestätigung des Urteils durch den
Präsidenten die Hintergründe der beiden
Morde an dem jungen Paar herausfinden und den
wahren Täter identifizieren, bevor sein
Vermächtnis mit seinem ehemaligen Schüler
und angeblichen Kollaborateur vor dem
Erschießungskommando endet. Ein Wettlauf mit
der Zeit beginnt. Dabei begibt er sich in eine
skrupellose und machbesessene Welt, in der jedes
Mittel recht ist, um die eigene Position zu
verbessern. Einem Anschlag entgeht der private
Ermittler nur knapp.
Geschickt
hat Matt Beynon Rees in seinen Ermittlerroman die
palästinensischen Realitäten
eingesponnen. Er beschreibt, wie die
gemäßigten Palästinenser den
extremistischen Gruppierungen hilflos ausgeliefert
sind. Wie diese ihre Kinder und Kindeskinder zu
antijüdischen Märtyrern aufstacheln und
die palästinensischen Sicherheitskräfte
nahezu machtlos sind gegenüber den
einflussreichen Familienklans, Terrorgruppen und
selbsternannten Freiheitskämpfern. Deren
inoffizielle Beziehungen zur Regierung schützt
sie vor Strafverfolgung und Ermittlung jeder Art
und bindet den offiziellen Sicherheits- und
Ordnungskräften die Hände. Unter den
extremistischen Kämpfern selbst herrscht eine
geheuchelte Verehrung der Anführer,
während unter dem orientalischen Teppich der
Brüderlichkeit ein Krieg um Macht und Einfluss
tobt. Auch die Tiefpunkte der nahen
palästinensischen Geschichte nimmt Rees
geschickt mit auf und verarbeitet so literarisch
die Erlebnisse, von denen er als Journalist noch
sachlich berichtet hat. Neben den
innerpalästinensischen Machtkämpfen und
Lebensumständen finden vor allem zwei
Ereignisse expliziten Eingang in sein Buch: Sowohl
der Lynchmord zweier israelischer Reservisten vom
Oktober 2000 als auch der Rückzug von rund 200
Palästinensern in die Bethlehemer
Geburtskirche im Frühjahr 2002 werden indirekt
in den Fall um den "Verräter von Bethlehem"
aufgenommen. An Kritik an einer Gesellschaft, in
der sich die Verbrecher "selbst zum Gesetz machen",
indem sie auf ein paar Soldaten schießen und
damit zu unangreifbaren Widerstandskämpfern
werden, lässt es Rees nicht mangeln. Und so
findet auch die absurde Verehrung der so genannten
Helden, die sich mit einen Sprengstoffgürtel
um die Hüften blindwütig in israelische
Menschenansammlungen stürzen, in Rees
Debüt eine deutliche Verurteilung.
Jussufs
zweiter Fall ist bereits fertig und wird im
Gazastreifen spielen.
2009 soll Omar Jussuf in Nablus die Ermittlungen in
seinem dritten Fall aufnehmen.
Matt
Beynon Rees Verräter von Bethlehem
ist am 15. 2. 2008 unter der ISBN 978-3-406-57035-3
bei C. H. Beck erschienen, umfasst 327 Seiten und
ist um 18,40 Euro im Buchhandel
erhältlich.
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