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E L E V E N T Y

H A N D L U N G S R E I S E N . 2 0 0 8

Thomas Buchtipp: Barbie trifft He-Man

In Anlehnung an das Thema des EHG-Clubabends, den ich am 14. November geleitet habe, präsentiere ich heute einen Titel, der ein ähnliches Thema behandelt, nämlich Phantasiewelten.

„Barbie trifft He-man“ ist die leicht veränderte Fassung von Claudia Fuchs’ Dissertation im Fachbereich Neue Philologien an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main aus dem Jahr 1995, aktualisiert durch verschiedene Anmerkungen im Hinblick auf relevante Literatur, die nach 1995 erschien.

Claudia Fuchs behandelt in diesem Buch die Spiele und Gespräche von Buben und Mädchen in der Grundschule und wie deutlich sich diese voneinander unterscheiden.

Als Beispiel von zwei Spielen derselben Art, jedoch geschlechtergetrennt, verwendet sie die „klassische“ Mädchen-Phantasiewelt der „Barbie“ und stellt sie dem von „Mattel“ entworfenen Gegenstück für Buben, den „Masters of the Universe“ gegenüber.

Anhand unterschiedlicher Beispiele beschreibt sie, wie Geschlechtersozialisation, Spielwelten und Gesprächsverhalten zusammenhängen, welche Bedeutung Grundschulkinder selbst ihren Phantasiewelten geben und wie sie über ihre fiktiven Erlebnisse dort erzählen.

Sie gibt Anregungen, wie die von ihr behandelten Spielwelten auch in der Schule Anwendung finden können und analysiert verschiedene Situationen, in die sich Kinder dabei versetzen. Zur etwas besseren Anschaulichkeit habe ich hier einige Leseproben angeführt:

Alexandra und Jasmin hatten schon unmittelbar nach der Zurückkommen von der Traumreise gesagt, woran sie bei ihrer Reise gedacht hatten. In L9 fordert die Lehrerin Alexandra auf, ihren Beitrag zu wiederholen, und ohne weitere Verabredung setzt eine offensichtlich routinisierte Beitragsrunde ein, in der alle Mädchen sagen, woran sie auf der Traumreise gedacht haben.

In den Antworten werden das Barbie-Glanzbett (später Glitzerbett genannt), die Barbie (auch in ihrer Inkarnation als Glitzerbarbie) und das Pferd genannt, also genau die entscheidenden Elemente der Traumreise, die kurz gefasst lauten könnte:

Du wachst als Barbie in deren Glitzerbett auf und findest ein Pferd vor dem Haus, mit dem Du wegreitest. ...

Wenn die Lehrerin nun die Beschäftigung mit Barbie in die schulische Arbeit integriert, könnte auch die Frage nahe liegen, warum sie das tut (Jasmin: „warum redest Du immer“) und welches Verhältnis sie selbst zu Barbies hat. (Elena: „... du bist doch auch ein Mädchen denk ich.“) ...

Altersunterschiede zwischen Kind und Erwachsener, Statusunterschiede zwischen Lehrerin und Schülerin, die sich in der Unterrichtskommunikation auswirken, fallen nicht entscheidend ins Gewicht. Das Geschlecht zählt hier mehr nach Elena. „Auch ein Mädchen“ bedeutet wohl in diesem Zusammenhang „auch weiblich“. „Denk ich“ wirkt als deutliche Verstärkung dieses Ausschlusses von Unzuständigkeit als mögliche Antwort. ...

Elena qualifiziert ihren Beitrag damit als Ergebnis rationaler Überlegung, die Geschlechtszuschreibung und damit Zuständigkeitserklärung der Lehrerin als Tatsache, nicht etwa als Vermutung oder als Scherz. ...

Elena möchte also ein mögliches Ausweichen der Lehrerin, das sie damit antizipiert, durch einen starken Einwand verhindern. ...

Tanja: „Ich find die Jungs haben viel spannendere Sachen wollen die immer haben.“

Zwei Lesarten sind denkbar: der Satzteil „wollen die immer haben“ funktioniert hier entweder als Reparatur des Prädikats „haben“, das sie zuvor verwendet hatte, oder die Konjunktion „und“ ist ausgelassen worden, sodass eine zweigeteilte Behauptung gemacht wurde.

Nun ist „spannender“ eine keineswegs negative Bewertung von Spielsachen, in der Generalisierung könnte sie sogar von Neid diktiert sein. Gleichzeitig kann diese Bezeichnung im Rahmen eines Vergleichs zwischen Barbie-Puppen und Masters-Puppen auch als Abwertung in bezug auf das Spielzeug Barbie aufgefasst werden: die „Himänner“ sind viel spannender. Dies ist, ex negativo, der einzige explizite Hinweis auf etwas, das für mich in dem Gespräch spürbar war:

Das Spiel mit Barbie wird als langweilig empfunden, wenn auch die Puppe selbst höchst faszinierend für ein Mädchen ist.

*

Die Lehrerin stellt an die Jungen die Frage, was sie als Master erlebt hätten. ...

Insgesamt lässt sich feststellen, dass zwei wichtige Aspekte mit dem Geschichtenerzählen über Phantasieerlebnisse als Masters of the Universe verbunden sind: Da die Jungen selbsterlebte Geschichten in einer präformierten Welt erzählen, und da diese Geschichten, wie die in zum Konsum Feilgebotenen in Magazinen, Kassetten und Filmen, von Kämpfen handeln, kommen die Erzähler wegen des Detaillierungszwangs in gesichtsbedrohende Situationen. Diese Gesichtsbedrohung der Sprecher hängt eng mit ihrer Sozialisation zum Männlichsein zusammen. Die Komplettierung der narrativen Struktur kann deshalb den einzelnen Jungen in einen Konflikt zwischen Geschichtenerzählen und Gesichtswahrung bringen. In einem solchen Konflikt haben sich Richard, Mathias und Martin entschlossen, auf Ausdrücke der Erlebnisqualität zu verzichten. ...

Zweitens haben die Jungen weit weniger die Gelegenheit zum Geschichtenerzählen genutzt, als angesichts der Beliebtheit des Spiels zu erwarten gewesen wäre. ...

Gewinnen und Verlieren spielen eine große Rolle im Spiel mit den Masters-Puppen, ebenso wie das „stärker sein“, zu dem aber in einer Nullsummenrechnung, die Kriegsspiele ja darstellen, auch ein „schwächer sein“ gehört. ...

Im Gespräch über die Traumreise zum Planeten Eternia machen die Jungen auf entsprechende Fragen der Lehrerin, wo immer möglich, Beschreibungen der Figur und nicht ihre eigenen Gefühle zum Mittelpunkt. Die Jungen zeigten ein konkurrenz-orientiertes Redeverhalten, besonders in bezug auf des Rederecht und in bezug auf die Etablierung von Expertenstatus durch Belehrungen. Auf der Ebene der Gesprächsorganisation wie auf der Ebene der Handlungskonstitution entspricht dieses Gesprächsverhalten einer gemeinsamen interaktiven Strategie zur Vermeidung von Gesichtsbedrohung. ...

Außerdem können die Jungen durch Belehrungen der Lehrerin ihren Status gegenüber der erwachsenen Frau in der Institution erhöhen. ...

*

In Bezug auf Jungen stellt die Autorin somit fest, dass das Erleben und Spielen zugunsten eines Experten-Wissens, das den eigenen Status erhöht, in den Hintergrund tritt.

„Barbie trifft He-man“ ist 2001 im Fillibach Verlag erschienen und ist unter der ISBN 3-931240-20-7 um 23,70 Euro im Buchhandel erhältlich.

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